Wo die wilde Kaiserin wohnt


von Gabi Dräger - Das lang gezogene Kaisertal erstreckt sich zwischen dem Wilden und dem Zahmen Kaiser, mit schroffen Felsen und blühenden Almwiesen. Ein bisschen Kondition wird für den Aufstieg auf gut ausgebauten Treppenstufen schon gebraucht. Stufe für Stufe geht es aufwärts. An einigen Felsen sieht man große Haken. Früher wurden hier Autos, die man am im Kaisertal brauchte, per Seilwinde hinaufgezogen. Heute gibt es eine Straße für den Materialtransport.


Startplatz der Wanderung war der große Parkplatz in Ebbs bei Kufstein. Und wenn man die Stufen geschafft hat, folgt noch ein steiler Weg bis zur Neapelbank, hier kann man verschnaufen und Kufstein aus der Vogelperspektive bewundern. Eigentlich hat man hier schon die Wanderung in der Tasche, denn man hat die Höhe fast erreicht und der Rest der Strecke zieht sich fast eben dahin. Nach ein paar Schritten folgt schon die erste Einkehrmöglichkeit, der Veiten Hof und einen Steinwurf weiter zeigt eine kleine Hauskapelle am Weg an, dass der Pfandl-Hof und der Berghof Enzian nicht mehr weit sind. An steilen Wiesen wird gerade das Heu ganz traditionell mit einem Holzrechen zum Trocknen gewendet. Oberhalb der tiefen Schlucht des Sparchen Bachs führt der Höhenweg gemütlich im Wald dahin. Im Anton Karg Gartl, das dem Erschließer des Kaisertals gewidmet ist, laden Holzbänke zur Trinkpause ein. Weiter geht’s.

Die letzte Einkehrstation am Weg ist Hinterbärenbad. Dort gibt es einen Gedenkstein, mit vielen Tafeln, die an Bergsteiger erinnern, die beim Klettern in den umliegenden Bergen abgestürzt sind. Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten, um zum Hans-Berger-Haus zu gehen. Eine Variante ist der Forstweg, der ist länger und einfacher, die andere ist kürzer und geht leicht ansteigend durch den Wald. Bald schimmert das Haus durch die Bäume, das Ziel ist erreicht. Geschafft. Zweieinhalb Stunden hat die Tour gedauert. Die Naturfreudehütte von 1932 strahlt Gemütlichkeit aus, hier fühlt man sich gleich wohl. „Griaß aich“, begrüßt Silvia Huber, die Hüttenwirtin, die neuen Gäste auf der großen Terrasse. Schon als Kind war sie bei ihrem Vater, der Hüttenwirt im Hans-Berger-Haus war. Seit 1990 führt sie in der zweiten Generation die Hütte. Der Platz soll ein Kraftplatz sein, angeblich hat er ganz besondere
Schwingungen, denn die Gäste, die zur Hütte kommen, sind meistens gut drauf. Das Panorama ist beeindruckend, die markante Pyramide, die „Kleine Halt“, ist für Silvia der schönste Berg, den es gibt. Altschneereste kleben noch am Sonneck und der Ausblick über das Grün des Kaisertals ist beruhigend.

Kinder kommen auch gerne zur Hütte, denn es gibt einen Kinderspielplatz und eine Indoor-Kletterwand. „Das Gebiet rings um das Hans-Berger-Haus eignet sich zum Klettern, Wandern, faul sein und leben“, sagt Silvia. Genießer können auf der Terrasse wunderbar entspannen. Klettern kann man im Scharlinger Boden und dem Hausberg, der Kleinen Halt, es gibt Routen mit Schwierigkeitsgraden von drei bis neun. Außerdem laden unzählige kurze und lange Wanderungen ein. Silvias Lieblingswanderung führt zum Mirakelbrünndl, dort trinkt sie ein paar Schlucke kristallklares Wasser und wünscht sich etwas. Ihre Wünsche gehen oft in Erfüllung, denn sie wünscht sich nur realistische Sachen, die der Brunnen auch erfüllen kann. Dann geht sie über den Scharlinger Boden zurück zur Hütte.


Der Scharlinger Boden im hintersten Kaisertal ist ein verwunschener Ort. Hinter dem Brunnen gibt es einen Eingang zu einer geheimen Schatzhöhle, die sich laut Legende nur einmal im Jahr am Tag der Fronleichnamsprozession öffnet. Dann dürfen gute Menschen, die unverschuldet in Not geraten sind, die Höhle betreten und mitnehmen, war sie zum Überleben brauchen. Wer aber aus purer Habgier in die Schatzhöhle eindringt, wird von wilden Teufeln verfolgt. Ein Mal stieg eine junge Bäuerin am Fronleichnamstag mit ihrem kleinen Sohn zum Brunnen hinauf. Ihr Ehemann war im Winter bei Holzarbeiten verunglückt. Die Bäuerin trank einen Schluck aus der Quelle und als die Glocken vom Tal herauf klangen, öffnete sich ein verstecktes Felsentor. Die Frau ging hinein, setzte ihren Sohn auf den Boden und sammelte Gold in ihre Schürze und trug es ins Freie. In diesem Moment hörten die Glocken auf zu schlagen und mit lautem Krachen schlug das Tor zu und ihr Kind war ihm Berg eingeschlossen. Sie hatte einen Schatz gewonnen, aber einen viel größeren, ihren Sohn, verloren. In ihrer Verzweiflung ging sie zum Pfarrer und klagte ihm ihr Leid. Der Pfarrer versprach: „Deinem Kind wird nichts geschehen, hab Vertrauen und gehe in einem Jahr wieder hin“. Nach einem Jahr öffnete sich das Felsentor unter dem
Klang der Fronleichnamsglocken und ihr Sohn kam der Bäuerin munter und lachend entgegen. Er erzählte, dass freundliche kleine Männer ihm Essen gebracht und ihm auch ein Bett und Spielzeug gebaut hatten. Außerdem haben die kleinen Männer versprochen, dass die Mutter bald wiederkäme. Voller Freude kehrten Mutter und Kind nach Hause zurück.

Die Speisekarte an der Hauswand der Hans-Berger-Hütte ist verführerisch. Spinatknödel und der Mastochsenbraten mit Rotweinsauce sind die Renner. Das Fleisch kauft Silvia bei regionalen Biobauern und die gute Qualität schmeckt man auch. Sie ist eine temperamentvolle und unkonventionelle Hüttenwirtin, die für ihr Leben gerne kocht. Die Gäste singen Lobeslieder auf ihre Kochkunst. Zum Essen gehört ein edler Tropen. Auf der Weinliste stehen erlesene Tropfen wie Blaufränkischer vom Gsellmann in Gols.

Für Baumknuddler gibt es eine Buche. Hier können die, die daran glauben, den Baum umarmen und Energien auftanken. Und dann gibt es noch etwas Kurioses. Mitten in der Wiese hinter dem Haus steht ein Zeichen für einen Postbus. Auf die Frage, wann der Bus kommt, antwortet Silvia lachend: „Am Ende der Saison“.

Nach dem Abendessen greift Silvia zur Gitarre und singt dazu alte Volkslieder. „Wann i auf d’ Olma geh“, ist ihr Lieblingslied. Ja die Silvia ist a Pfundsweib, sie klettert, kocht, musiziert und ist die einzige weibliche Hüttenwirtin ohne Wirt im Kaisertal. Verdammt gut aussehen tut sie auch noch. Nicht umsonst schwärmen viele von Silvia der „wilden Kaiserin“.

 

Über den Autor*Innen

Gabi Dräger

Wo findet man Gabriele Dräger in den Bergen? Natürlich in einer Alm bei einer Brotzeit., denn Almen mit guter Küche ziehen sie magisch an. Gipfel nimmt sie auch hin und wieder mit. So hat sie einige 5.000er beim Trekking in Süd Amerika und Nepal, bestiegen. Ihre Hochleistung war der Kilimandscharo mit 5.895 Meter. Kultur und Brauchtum faszinieren sie genauso, wie Städte und Kunstausstellungen. Obwohl sie gerne in urigen Berghütten übernachtet ist sie dem Luxus von guten Hotels nicht abgeneigt.