Es sind filigrane kleine Kunstwerke, mal in kräftigem Lila, mal in zartem Gelb. Fast unscheinbar auf den ersten, flüchtigen Blick. Doch wandert man mit offenen Augen durch den Nationalpark Gargano in Apulien, entdeckt man vor allem im Frühjahr ein einmaliges Blütenmeer aus wilden Orchideen.
Apulien ist besonders reich an diesen außergewöhnlichen Blumen. Mehr als 100 Arten findet man hier. Und der „Hotspot“ dieses Paradieses für Orchideenliebhaber ist der Nationalpark Gargano. Er lässt sich auf einer Karte Italiens leicht lokalisieren. Wie ein Sporn ragt die bergige Halbinsel vom italienischen Stiefel in die Adria. Hier wachsen allein 93 verschiedene Orchideen-Arten. Das erklärt Angela Rossini bei einer Wanderung auf dem „Sentiero Natura“, der über blühende Bergwiesen auf den Monte Sacro bei Mattinata führt.
Die ehemalige Lehrerin ist eine ausgewiesene Orchideen-Expertin. Sie hat auch ein Buch über die wilden Orchideen im Nationalpark Gargano geschrieben. Sich von ihr führen zu lassen, öffnet die Augen für die Wunderwelt der vielfältigen kleinen Blüten. Immer wieder geht sie auf die Knie und macht auf die Besonderheiten der einzelnen Pflanzen aufmerksam. So entdeckt man den violetten Dingel, der bis zu 20 einzelne Blüten bildet. Man erfährt, dass der Ragwurz mit seinem insektenähnlichen Aussehen männliche Insekten anlockt, die beim Versuch der Kopulation mit den Blüten Pollen übertragen. Und auch, woher der Name Orchidee kommt, erklärt Rossini bei der Wanderung: Die Form der beiden Wurzelknollen der Pflanzen erinnerte die alten Griechen an menschliche Hoden - auf Griechisch Orchis. Mehr Infos zu den Orchideen des Gargano finden Sie hier...
Äußerst unterhaltsam und informativ gelangt man so bergan bis zu den Ruinen der Benediktinerabtei SS Trinità di Monte Sacro, die einst auf dem 874 Meter hohen „Heiligen Berg“ thronte. Eingebettet in das üppige Grün der Foresta Umbra, des dichten Waldes des Nationalparks, lassen die weitläufigen, verfallenen Mauerreste der Abtei deren große Bedeutung im Mittelalter erahnen. Über 100 Mönchen sollen hier damals gelebt haben. Die Abtei war ein Pilgerziel. Schon bevor christliche Einsiedler auf dem Monte Sacro die Heilige Dreifaltigkeit verehrten, diente der höchste Berg des Gargano in römischer Zeit als Stätte des Jupiterkults. Darüber informiert eine Info-Tafel an den Ruinen.
Jahrtausende alte Gräber auf dem Monte Saraceno
Noch weiter zurück in die Geschichte der Region führt eine andere Wanderung von Mattinata aus, auf den Monte Saraceno. Auf dem Hügel oberhalb der Stadt findet man eine weitläufige Nekropole mit rund 800 Gräbern aus der Zeit der Daunier. Diese antiken Bewohner des Gebiets kamen vom westlichen Balkan und siedelten sich um das 8. Jahrhundert vor Christus in der Region an. Sie betrieben hier Landwirtschaft, Jagd und Fischfang. So berichten es Info-Tafeln auf dem Monte Saraceno. Was von den antiken Bewohnern aber heute noch sichtbar ist, sind die zahlreichen Gräber, die sie in die Felsen geschlagen haben. Überall am Berg tun sich im steinigen Boden Löcher auf, in denen die Daunier ihre Toten in Embryonalstellung bestatteten. Man sollte also gut auf seine Schritte achten, auch wenn der Ausblick vom Monte Saraceno auf die Küste von Mattinata mit ihren Stränden und auf die Hügel des Nationalparks atemberaubend ist.
Um noch mehr über das antike Volk der Daunier und ihre Kultur zu erfahren, lohnt sich auf jeden Fall ein Besuch im Archäologischen Nationalmuseum „Matteo Sansone“ in Mattinata. Das moderne, erst im Jahr 2023 eröffnete Museum präsentiert in einer zeitgemäßen, ansprechenden Ausstellung rund 2.500 Funde aus der Region, vor allem aus der Zeit der Daunier. Zu den beeindruckendsten Stücken gehören die Stelen, die ursprünglich die Gräber auf dem Monte Saraceno markierten. In die Grabsteine sind üppige Verzierungen geritzt, die die Verstorbenen charakterisieren – mit Schmuck, Waffen, Szenen aus dem Alltag. Daneben findet man in dem Museum eine umfangreiche Sammlung an gut erhaltenen Keramiken der Daunier und auch Funde aus der römischen Villa von Agnuli in Mattinata. Die Überreste der römischen Villa wurden in der Nähe des kleinen Hafens von Mattinata gefunden.
Zu verdanken ist die außergewöhnliche Sammlung des Museums dem Apotheker Matteo Sansone aus Mattinata, der die Stücke als privater Sammler zunächst in den Schränken seiner Apotheke in der Stadt ausstellte und sie schließlich dem italienischen Staat schenkte. Mehr Infos zum Museum finden Sie hier...
Nach dem Museumsbesuch lädt die kleine Altstadt von Mattinata zu einem Bummel durch die Gassen ein. Der Ort mit seinen heute rund 6.000 Einwohnern gehörte lange zu den ärmsten Gegenden Italiens. Bis zum Zweiten Weltkrieg war er nur über Eselspfade oder per Boot zu erreichen. Erst das Geld der Männer, die in den 1960er und 1970er Jahren als Gastarbeiter ins Ausland gingen, brachte bescheidenen Wohlstand. Heute sind neben dem Tourismus die Olivenhaine, die rings um den Ort angelegt sind, ein wichtiger Erwerbszweig.
Zentraler Treffpunkt in Mattinata ist der Corso Matino. Die Hauptstraße wird in den Sommermonaten jeden Abend für den Autoverkehr gesperrt und zur Fußgängerzone umfunktioniert. Das abendliche Flanieren auf dem Corso gehört einfach dazu. Und dabei natürlich auch das Einkehren in eine Trattoria mit traditionellen Gerichten der Gegend wie das „Terrazzo Matino“ (www.terrazzomatino.it). In dem modern gestylten Restaurant mit großer Terrasse bekommt man zum Beispiel handgemachte Orecchiette mit Cime di Rapa serviert, eine typisch apulische Pasta mit Steckrüben, oder gegrillten Caciocavallo-Käse aus der örtlichen Käserei Azienda Agricola De Vita (agricoladevita.com). Die Ziegen und Kühe, von denen die Milch dafür stammt, grasen auf den Weiden des Gargano halbwild. Bei der Wanderung zum Monte Sacro ist man ihnen schon begegnet.
Eine ideale Basis für Wanderungen im Nationalpark Gargano und zwischendurch ein Bad im Meer ist das Hotel Residence Il Porto (www.hotelresidenceilporto.it). Die Appartementhäuschen des Hotels ziehen sich den Hang oberhalb des Hafens von Mattinata hinauf und bieten einen fantastischen Panoramablick auf die Bucht und den kleinen Hafen von Mattinata. Diesen Ausblick kann man auch von der Terrasse des zugehörigen Restaurants „Terrazza Blu Mare“ genießen, das nicht nur Hotelgästen offensteht.
Über den Autor*Innen
Gabi Vögele
Gabi Vögele, geboren 1967 in Eichstätt/Bayern, arbeitete nach dem Studium von Journalistik und Geographie als Journalistin für Süddeutsche Zeitung und Abendzeitung. Seit 2005 ist sie freiberuflich als Journalistin tätig. Ihre Themen: Reisen, Outdoor-Aktivitäten, Genuss.
Draußen unterwegs sein, sich in der Natur bewegen, Landschaften entdecken, interessante Menschen treffen und einfach genießen – sei es den würzigen Bergkäse auf der Alm, das gute Glas Rotwein an einem langen Winterabend oder das überraschende Sechs-Gänge-Menü eines kreativen Kochs.