Wandern auf Sardinien

Die wunderschönen Buchten und das atemberaubende Küstenpanorama Sardiniens sind weltweit bekannt. Im Inneren der italienischen Insel entdecken wir aber eine ebenso wunderbare Landschaft, die zum Durchstreifen nur so einlädt.

Es weht eine frische Brise, der Himmel ist wolkenlos. Unter den Schatten spendenden Bäumen ruht sich eine Herde Kühe aus. Der Boden ist übersät mit kleinen Teichen, in denen sich das Regenwasser sammelt. Idyllischer könnte es nicht sein, hier auf der Hochebene Il Golgo in 400 Meter Höhe.

Wir sind von Baunei aus, auf der Staatsstraße S.S. 125, hierher gekommen. Verabredet hatten wir uns heute früh in Santa Maria Navarrese – selbstverständlich vor der Kirche, wo auch eine 2000 Jahre alte Wildolive steht.

Der Weg zur Voragine del Golgo (Golgo-Schlucht) ist gut ausgeschildert. Wir brechen zu Fuß auf, umgeben von der duftenden mediterranen Macchia: Korkeichen, Steineichen, Wacholder, Oleander und Erdbeerbäume prägen die Landschaft. Von einer kleinen Terrasse aus schauen wir nach unten, zur Öffnung der Schlucht. Sie ist mit knapp 270 Metern das tiefste Karstloch Europas und hat zu Legenden inspiriert: Der Drachen Scultone soll hier wohnen! Der Höhlenforscher Timo aus Ingolstadt spricht gerade per Funk mit seiner Kollegin, die noch unten in der Schlucht ist. „Eine ganz interessante Höhle, wie viele andere im Territorium von Baunei“, erklärt er uns mit Begeisterung. Wir verabschieden uns und wandern wieder zurück, bis zur Abzweigung mit dem Schild „Su Sterru (il Golgo)

Wir folgen jetzt der geteerten Hauptstraße der Hochebene knapp zehn Minuten lang. In der absoluten Stille hört man nur das Geräusch unserer Wanderschuhe. Auf der ganzen Strecke begegnen wir nur einem Paar, das wir schon in der Nähe der Schlucht getroffen hatten. Zusammen mit ihm laufen wir weiter zur Landkirche San Pietro, die im Juli zum Festplatz für einen wilden Ritt und ein Bankett wird. Ringsum wachsen Steineichen, eine Horde von Wildschweinen und Schafen steht friedlich nebeneinander und schaut zu uns herüber. Die Kirche sieht man schon vom Weiten: Das weiß gekalkte Gebäude hebt sich deutlich gegen den blauen Himmel ab. Paolo, unser Führer, wartet mit seinem Geländewagen auf uns. Zu uns gesellt sich auch ein sympathischer Esel, der nur gestreichelt werden möchte. Wir wollen zu Paolos coile (ovile, d. h. Schafstall im Dialekt von Baunei) fahren und von dort weiter zur Bucht Cala Goloritzé wandern. Bei Genna Ozidone geht der Schotterweg steil bergab. Paolo fährt flott, und wir müssen uns gut festhalten. Wildschweine queren mehrmals den Weg während der halbstündigen Fahrt zu seiner Hirtenhütte. Im Unterholz sehe ich veilchenblaue Flecken, aber wegen der Geschwindigkeit kann ich sie nicht richtig einordnen. Plötzlich bremst Paolo, um ein paar Ziegen auszuweichen, und dann erkenne ich sie: Unzählige, wunderschöne Alpenveilchen schauen zwischen den Steinen hervor!

Zwischen Meer und Berge

Im Schafstall knistert das Feuer – trotz der angenehmen Außentemperatur ist es in der Hütte ziemlich kühl. Paolo legt Ziegenkäse und Wurst auf die Glut: Der geschmolzene Käse schmeckt so gut, dass ich mich satt esse. Von der Hirtenhütte aus bis zur smaragdgrünen Bucht Cala Goloritzé sind es ungefähr vier Kilometer – eine Wanderung von etwa 1,5 Stunden. Paolo wird uns begleiten. In der Umgebung gibt es viele Wanderwege, die über Maultierpfade oder Treppen aus Wacholder führen. Wir ziehen uns wieder feste Schuhe an. Die Landschaft ist atemberaubend, und je mehr wir uns dem Strand nähern, desto kristallklarer scheint das Meerwasser. Überragt wird die kleine Bucht von einer Felsnadel. Hier gibt es auch einen Felsvorsprung, in den Wind und Wellen ein Tor geschlagen haben. Hinter der steilen Wand aus Geröll verschwindet zum späten Nachmittag die Sonne, und ab etwa 17 Uhr liegt der Strand im Schatten.

Nach einer knappen Stunde Rast ist es schon Zeit zurückzukehren. Der Rückweg erweist sich als ziemlich anstrengend – gut dass wir genügend Wasser mitgenommen haben! Jetzt freue ich mich schon auf das Abendessen mit sardischen Spezialitäten im traditionellen und exklusiven Hotel und Restaurant „Su Gologone“ in Oliena, auf halbem Weg nach Dorgali. Während wir die Suppe „Filindeu“, die wie ein Gewebe aussieht, und Ravioli mit Wildfenchel essen, wird das Lamm an der Glut eines großen Feuers zubereitet. Die Mahlzeit wird mit „Sevada“, einem Nachtisch aus Brot guttiau, Käse und Zitrone, abgerundet. Es ist erst 22 Uhr, aber wir sind ziemlich müde. Wir stoßen das letzte Mal auf „Salude e trigu!“ (in der italienischen Übersetzung: salute e grano – Gesundheit und Weizen) an: „Buona notte!“

Murales und Banditen

Vom Balkon meines Hotelzimmers aus bestaune ich die majestätische Kulisse der Supramonte-Berge. In der Nähe des Hotels befindet sich die Karstquelle „Su Gologone“, am rechten Ufer des Flusses Cedrino und am Fuße des Supramonte. Um die auch im Sommer frische Quelle (die durchschnittliche Wassermenge beträgt 300 Liter pro Sekunde) gedeiht ein grüner Eukalyptuswald, in dem man sich ein kleines Picknick gönnen kann – von Oliena folgt man der Provinzstraße nach Dorgali und biegt nach ca. 5,8 km rechts auf eine leicht abfallende Straße ab, die mit den Wegweisern zur Quelle und zum Hotel-Restaurant beschildert ist. Nach ca. 8 km erreicht man einen großen Platz: Von hier aus kann man zu Fuß zur Quelle gelangen.

Nach dem Frühstück fahren wir Richtung Arzana: Das Dorf in der Region Ogliastra ist nicht nur wegen des Volksfestes „Il porcino d’Oro“ (Der goldene Steinpilz) am ersten Wochenende in November bekannt, sondern auch wegen seiner gesunden Luft: Hier leben mehrere Hundertjährige! Nach einer ausgiebigen Mahlzeit in Elini, im Lokal „Su Cramu“, mit sardischen Spezialitäten – unter anderem einem köstlichen Wildschweinschinken und den culurgiones, einer Art Nudeln in der Form von Fingern, mit einer Füllung aus Kartoffeln, Käse und Minze – fahren wir nach Orgosolo. Die Straße ist ziemlich kurvig, aber die wunderbaren Aussichtspunkte belohnen uns für die Anstrengung. Das bekannteste Dorf Sardiniens, in dem noch vor wenigen Jahren von Blutrache, Banditen und Rebellen die Rede war, ist von unzähligen Wandmalereien geprägt. Jede Wand ist mit Murales bemalt: Sie sind Ausdruck des
Protests und des Unmuts über Korruption und Ausbeutung – üben aber auch scharfe Kritik an einer verfehlten internationalen Politik. Der Spaziergang durch das Dorf dauert zirka eine Stunde. Jetzt geht es weiter Richtung Lago di Liscia, in die Region Gallura, wo wir erst gegen Abend beim strömenden Regen ankommen – auch auf Sardinien kann es regnen, und wie!

Am Lago di Liscia

Am darauf folgenden Morgen strahlt die Sonne wieder, und wir entdecken eine unerwartet schöne Landschaft: Das satte Grün der Pflanzen und Wiesen erinnert mich an die Alpen. Vom Hotel „Funtana Abbas“ aus hat man eine prächtige Sicht auf den Stausee. Auf dem Weg dorthin begegnen wir einer kleinen, neugierigen Herde von Schafen, die immer ängstlicher werden, je näher wir kommen, und sich plötzlich – wie auf Kommando – blitzschnell auf dem Hügel zerstreuen. Der Weg ist durch eine Schranke blockiert: „Proprietà Privata“ (Privateigentum) steht auf dem Schild, aber es ist nicht zugesperrt. Der Inhaber des Grundstücks lässt uns freundlicherweise durch, warnt aber uns vor dem steilen Weg. Na ja, unter „steil“ verstehen wir etwas Anderes, aber es war sehr nett von ihm. Vom Wind verbogene Korkeichen säumen den Weg. Nach einer Viertelstunde gelangen wir ans Ufer. Nur Schade, dass es hier keine richtige Möglichkeit gibt, am Ufer entlang um den See zu wandern, aber der Ausblick ist herrlich. Oben am Hang hat sich die Schafherde inzwischen wieder gesammelt. Die Sonne scheint ungetrübt. Die Stille ist fast betäubend, und nur der Wind belebt die Idylle.

Text und Bilder: Nicoletta De Rossi

Informationen

Buchungen und Beratung
Oscar Reisen – Der Sardinien-Spezialist
Tel: 0821/5095555
www.oscarreisen.de

Anreise
AirBerlin fliegt direkt auch von Berlin, Frankfurt, München, Nürnberg, Stuttgart nach Olbia.
www.airberlin.de
Auf Sardinien ist es notwendig, ein Auto zu mieten.

Essen und Übernachtungen
Hotel-Restaurant “Su Gologone”
Oliena (Nuoro)
Tel: 0039-0784-287512
www.sugologone.it

Su Cramu
Loc. Parco Carmine
Elini (Ogliastra)

Hotel Ristorante Rurale „Funtana Abbas“
Loc. San Leonardo – Luras (Olbia-Tempio)
Tel: 0039-079-669000
www.funtanaabbas.it

Geführte Wanderungen
Salinas Escursioni - Paolo
Tel: 0039-340-5665739  
www.supramonteselvaggio.it

Reiseführer „Sardinien“ von Caterina Mesina
Go Vista Info Guide
www.vistapoint.de

Über den Autor*Innen

Nicoletta De Rossi

In Venedig geboren, arbeitete sie nach ihrem Studium der Fremdsprachen als Redakteurin in Mailand. Seit 2000 lebt sie in Nürnberg, wo sie als freiberufliche Journalistin und Autorin für verschiedene italienische und deutsche Medien tätig ist. Ihre Schwerpunktthemen sind Reisen, Design/Einrichtung, Mode und Food/Gastronomie – mit Fokus auf Italien.