Im Mittelalter war der Goldene Steig so eine Art Autobahn – und ganz schön PS-stark. 1400 Pferde verkehrten dort zur Blütezeit im 15. Jahrhundert jede Woche, um das kostbare Salz nach Böhmen zu liefern. Dieses Salz wurde zunächst in Bergwerken in Hallein oder Reichenhall gefördert und über den Inn nach Passau verschifft. Dort lud man es dann auf Pferderücken. Der historische Salz-Handelsweg zwischen Bayern und Böhmen ist seit Juni Teil des Goldsteigs. So heißt der Fernwanderweg, der seit nunmehr elf Jahren von Marktredwitz im Oberpfälzer Wald bis nach Passau führt. Nun ist noch einmal die tschechische Strecke durch Südböhmen bis in die Region Pilsen mit 289 Kilometern dazu gekommen. Damit wurde der Goldsteig zu einem Grenz überschreitender Weg. Mit Zubringerwegen und Querverbindungen ist so ein über 2000 Kilometer langes Wanderwegenetz mit 13 Grenzübergängen entstanden.
Die Wegebauer haben streckenweise mit Metallsonden gearbeitet. Immer wenn die Dedektoren piepten, war man höchstwahrscheinlich auf ein Hufeisen und damit auf den historischen Verlauf des Goldenen Steigs gestoßen. Denn die braven Gäule haben jede Menge Hufe verloren, während sie die drei Tonnen schweren Salzfässer über den Säumerweg schleppten. Nach drei Tagesmärschen erreichten sie von Passau das böhmische Prachatitz, heute Prachatice. Früher war’s gefährlich. Man zog als Karawane, geschützt von schwer bewaffneten Wachleuten. Denn am Wegrand lauerten Räuber, schließlich war die Fracht ausgesprochen wertvoll. Salz, das weiße Gold, war notwendig, nicht nur zum Würzen, sondern vor allem um verderbliche Lebensmittel zu konservieren und Leder zu gerben. Heutzutage können sich Wanderer, mit einem leichten Tagesrucksack auf dem Rücken, getrost alleine auf den Weg machen.
Die 660 Kilometer des Wanderwegs auf der bayerischen Seite kennt Uwe Stanke gut. Die tschechische Route ist auch für den passionierten Wanderer Neuland. Uwe Stanke ist als Wegemanager für den bayerischen Goldsteig zuständig. Noch nicht lange übrigens – bis vor kurzem hat er bei der Bank gearbeitet.
In einem Waldstück, das zum bayerischen Bischofsreut gehört, passieren wir den Schlagbaum. Ein Relikt aus früheren Zeiten, das nur noch Symbolwert hat. Die Grenze zwischen Bischofsreut und dem südböhmischen Mlaka ist offen. Und da taucht auch schon das orange S auf, mit dem der tschechische Goldsteig ausgezeichnet ist, auf bayerischer Seite ist das Symbol goldgelb.
Würde nicht ein Schild darauf hinweisen, man bekäme gar nicht mit, dass nun das tschechische Staatsgebiet beginnt. „Es ist herrlich, wieder frei nach Böhmen in die Tusset-Kapelle zu gehen“, hat Helga, der Handschrift nach zu urteilen eine ältere Dame, in das Gästebuch geschrieben, das wir später auf unserem Weg zu einer kleinen Kapelle oberhalb von Ceske Zleby (Böhmisch-Röhren) durchblättern.
Im Wald des Nationalparks Sumava ist es herrlich still – und gar nicht duster. Denn immer wieder ergibt sich ein freier Blick auf Felder und die hügelige Landschaft. Ortschaften gibt es in Grenznähe, wo einst der Eiserne Vorhang verlief, keine mehr. Ceske Zleby ist der erste Ort, der nach der Grenze auftaucht, ungefähr sechs Kilometer vom Schlagbaum entfernt. Später liegt das Dörfchen Dobra auf der Strecke und ebenso Volary, bekannt für seine in dieser Gegend ungewöhnlichen alpenländischen Holzhäuser aus dem 18. Jahrhundert.
Streckenweise geht‘s ganz schön bergauf. Kein Wunder: Joseph, Ranger im Nationalpark Sumava, klarstellt, dass es sich beim Böhmerwald um ein bewaldetes Gebirge handelt. Der Bayerische Wald ist historisch betrachtet ein Teil des Böhmerwalds. Auf Karten von 1930 findet man ihn auch noch unter dieser Bezeichnung. Nun bildet der Bayerische Wald mit Deutschlands ältestem Nationalpark und der Böhmerwald mit dem Nationalpark Sumava auf tschechischer Seite das größte zusammenhängende Waldgebirge Mitteleuropas.
Oft ist nur das Rauschen der Blättern zu hören und das Zwitschern der Vögel, die scheinbar in rege Gespräche verwickelt sind. Ab und zu mischt sich ein plätschernder Bach ein. Aber vor allem sind weit und breit keine Autos zu hören. Riesige Wälder, unberühmte Hochmoore und Flussauen prägen die Landschaft. Die Berge bringen es auf gut 1000 Meter. Boubin (Kubany), einer der höchsten Gipfel schafft sogar 1362 Meter. Faszinierend ist der Kubany-Urwald mit seinen bis zu 400 Jahre alten Baumriesen, die aus Stelzenwurzeln wachsen. Wenn dazu in den Bartflechten die Tautropfen im Morgenlicht glitzern, glaubt man, dass in jedem Moment ein paar Elfen und Trolle hinter den Stämmen auftauchen werden.
Später dann führt die Trasse des Goldsteigs immer wieder durch Orte. Diese Wegführung wurde ganz bewusst gewählt, damit die Wanderer einkehren und die mitunter schönen Fassaden, vor allem rund um die Marktplätze, bewundern können. Das bedeutet allerdings auch, dass der Goldsteig wohl nie den Ritterschlag zum Premiumwanderweg erhält. Durch die Passagen durch die Ortsmitte ist der Asphalt-Anteil zu groß, um eine solche Zertifizierung zu erlangen.
Besonders sehenswert ist Prachatice, das sich als „Renaissance-Perle Südböhmens“ vermarktet. Um den zentralen Platz reihen sich prachtvolle Häuser mit Sgrafitti-Fassaden und Arkaden aneinander. In einem dieser Torbögen hat sich der Künstler des Gemäldes, der offenbar sauer auf seinen Auftraggeber war, verewigt: „Gemalt, aber nicht bezahlt“.
Ein Museum neben dem Rathaus ist dem Goldenen Steig gewidmet – nicht von ungefähr. Die Stadt verdankte ihren Reichtum dem florierenden Handel mit dem Salz. Denn hier auf dem Marktplatz wurden die Waren umgeschlagen. Das Salz wurde abgeladen. Die Pferde wurden mit Hafer, die Säumer mit Hopfen und Gerste versorgt. Am nächsten Morgen ging es zurück. Dann wurden die Pferde mit böhmischem Bier und Getreide beladen. Jedes Jahr im Juni werden Prachatice die „Tage des Golden Steigs“ gefeiert, ein Riesen-Spektakel. Höhepunkt ist der Säumerzug in Kostümen des Mittelalters.
Die perfekte Infrastruktur auf bayerischer Seite, mit Gepäcktransfer und wanderfreundlichen Unterkünften, fehlt auf dem tschechischen Wegstück noch. Die Übernachtungsmöglichkeiten sind einfacher als in Bayern. Und wer eine Streckenwanderung über mehrere Tage unternimmt, muss seinen Rucksack auf jeden Fall selber tragen. Alternativ bieten sich zahlreichen Rundtouren an. Es wurden etliche Routen ausgeschildert, die Verbindungswege und die Haupttrasse miteinander kombinieren.
Um das leibliche Wohl muss sich der Wanderer nicht sorgen. In gemütlichen Gasthäusern haben wir hervorragend gegessen und vergleichsweise wenig dafür bezahlt, für ein köstliches Wildschweingulasch zum Beispiel 170 Tschechische Kronen, weniger als 7 Euro. Oft sind die Speisekarten nur auf Tschechisch, was dank Google ja auch kein Problem ist.
Kašperské Hory (Bergreichenstein) gehört zu den Sehenswürdigkeiten weiter nördlich in Richtung Pilsen. Eine einst bedeutende Stadt, daran lassen die prachtvollen Gebäude keinen Zweifel. Bis 1860 wurde hier Gold abgebaut. Zum Schutz der Goldminen und des Handelswegs ließ Karl IV. eine massive Wachburg oberhalb der Stadt errichten. Die Burg, zu der ein schöner Waldweg führt, ist zu besichtigen. Ein weiterer wichtiger Punkt auf der Strecke sind Kdyne und Domazlice. Der letzte Goldsteig-Abschnitt führt dann nach Chodova Plana.
Info
Der tschechische Goldsteig wurde im Rahmen eines Interreg-Projekts geplant und finanziert. Interreg hat das Ziel, die grenzübergreifende Zusammenarbeit und Weiterentwicklung von benachbarten Grenzregionen zu fördern. Unter www.goldsteig-wandern.de findet man alles, was man braucht: Die Übersichtskarte liefert Informationen zu den beiden Trassen des Goldsteigs in Bayern und Tschechien. Mit dem Tourenplaner können alle GPS-Daten der jeweiligen Tour direkt auf ein GPS-fähiges Gerät geladen werden.