Ein Geheimtipp war es, der mich herlockte. Zum lustigen Friedhof mitten in Nordrumäniens wunderschöner Karpatenlandschaft. Touristen sind immer noch die Ausnahme, doch wenn sie kommen, dann muss auch das Dorf Sapanta an der ukrainischen Grenze besucht werden. Seine Grabmäler haben Geschichte geschrieben. Hier vereinte einst der Holzschnitzer Ioan Stan Patras Volkskunst und Kunstgewerbe. Nein, der Friedhof des Ortes ist nicht fröhlich. Er spricht nur über den Tod mit Optimismus. Auf ihn werden Spaziergänge gemacht und Leute wieder getroffen. Hier erfährt man, ob sie traurig oder glücklich lebten.
Der 16-jährige Waise Patras fängt 1925 an, im alten Friedhof Holzkreuze zu schnitzen, um sich und die Brüder zu versorgen. Überall liegen Minen und die Bewohner schicken ihre Schafe voran, um das Dorf betreten zu können. Viele der Tiere starben. Patras wurde Zeuge dieses sinnlosen Tiersterbens und war zutiefst gerührt. Deshalb schnitzte er auf jedes Kreuz ein Schaf, egal ob der Verstorbene nun Schafzüchter war oder nicht. So konnte er den Tieren die letzte Ehre erweisen und sie gemeinsam mit den Verstorbenen beerdigen. Als Symbol, als letzte Hommage an die Schafe, denn nur durch ihre Opferung konnten die Menschen den Krieg überleben und den Tod besiegen.
Die Verstorbenen mit Malereien huldigen
Heute führt Dumitru Pop Tincu die Tradition seines Lehrers Patras fort. „Mit neun Jahren habe ich angefangen, zu malen. Für ein Kreuz brauche ich zwischen zwei bis drei Monaten“, sagt der Mittsechziger. Er macht alle Schnitzarbeiten und Malereien selbst. Seine Tochter Ana Maria übersetzt ins Englische. Maia im Kassenhäuschen am Friedhofseingang weiß, warum einige Kreuze nur auf einer Seite bemalt sind, andere dagegen beidseitig. „Viele Familien können sich nur eine Bemalung leisten. Das Geld reicht einfach nicht“, sagt sie. Zwischen 300 bis 500 Euro koste es, den Verstorbenen mit Malereien und Zitaten zu huldigen, einseitig. Natürlich möchte keiner zurückstecken, wenn es um die letzte Ehre geht. Aber oftmals erlaubt die Familienkasse das eben nicht.
Maria Stetnas Pension liegt gleich gegenüber des berühmten Friedhofes. Angeblich ist sie die Beste in dem kleinen Ort. Und Maria macht dem guten Ruf ihrer Unterkunft alle Ehre. Sie kümmert sich um das Wohlwollen ihrer Gäste mit traditioneller Küche, selbst gemachten Schnaps und Wein aus der Region. Zudem backt sie Plätzchen mit Schokoladenfüllung, lässt die Gäste gern probieren und webt Teppiche am hauseigenen Webstuhl. Und natürlich kennt sie das alte Handwerk des Spinnens. Sie zeigt Decken und Teppiche, die in Handarbeit entstanden sind. „Nur an drei Orten in Rumänien wird noch traditionell gewebt, Sapanta ist einer davon“, sagt ihr Sohn Daniel. Dann öffnen Mutter und Sohn den besonderen Raum, der in jedem rumänischen Wohnhaus der Stolz der Besitzer ist. An den Wänden hängen handbemalte Keramikteller, und es gibt Sitzgelegenheiten in folkloristischen Mustern. Die Farben Rot, Weiß und Blau dominieren. „In diesem Raum werden neugeborene Kinder gezeigt, Hochzeitspaare laden zum Empfang und Tote aufgebahrt“, sagt Maria.
Aussteuer auf Rumänisch
In der Tat hätte jedes Haus ein solches Zimmer. Acht große, mit schneeweißer Bettwäsche überzogene Kopfkissen liegen auf der langen Bank. „Die bekommen meine Söhne zur Hochzeit, jeder von ihnen vier Stück.“ Aussteuer oder Mitgift auf Rumänisch. Touristen werden hier gerne in Häuser gebeten, um ihnen den „besonderen Raum“ zu zeigen, den Stolz der Familie.
Der alte Friedhof, wo die Geschichte von Patras und den Schafen seinen Anfang nahm, liegt außerhalb des Ortes auf einem Hügel. Er ist verwilderter als der im Ort, doch die bemalten Holzkreuze sind ähnlich. „Da oben kostet die Grabstätte nichts“, erwähnt Maria, als sie den Weg weist.
Über 200 Kilometer auf bergigen Landstraßen mit unzähligen Schlaglöchern trennen Sapanta von den bekannten Klöstern der Bukowina-Region. Das Kloster Voronet besticht durch seinen Blauton, der einzigartig und in der Kunstwelt als Voronetblau bekannt ist. Den Ausschlag für diese klösterliche Pracht hat Stefan, der Große (1457 – 1504), ein moldauischer Fürst, der durch seine Kriegslust bekannt und gefürchtet war. Nach jeder gewonnenen Schlacht gegen die Türken stiftete er ein Kloster, insgesamt 44, die sich hier in bester Lage präsentieren.
Klösterliche Einsamkeit
Das Kloster Moldovita wird heute von Nonnen bewohnt und beeindruckt durch die dominante gelbe Farbe seiner Fresken. Sie zeigen außen die Belagerung Konstantinopels und innen das Jüngste Gericht. Schwester Maria gehört zu den 35 Nonnen, die hier leben. „Ich bin vor zehn Jahren hierhergekommen und liebe die Abgeschiedenheit“, sagt sie. Sie hätte die richtige Entscheidung getroffen, ein Leben für Gott. Ihre Heimatstadt Suceava liegt nicht weit entfernt, doch sie ziehe die klösterliche Einsamkeit dem Stadtleben vor.
Die westliche Außenfassade des Klosters Sucevita hat keine Fresken. Denn der Maler sei während seiner Arbeit vom Gerüst gestürzt. Sagt man! Sein Tod hat die Gesellen so bestürzt, dass keiner von ihnen wagte, die Gemälde fortzusetzen. Die einzige bemalte Wand zeigt eine beeindruckende Himmelsleiter, die als Sinnbild der menschlichen Vollkommenheit dargestellt wird. „Doch niemand von uns wird jemals die letzte Stufe erreichen“, sagt Schwester Marta und lächelt. Dann säubert sie die Kerzenhäuschen, die vor jeder orthodoxen Kirche stehen und Heimat der Toten und der Lebenden gleichsam sind, streng unterteilt nach „Vii“ und „Morti“. Hier bekommt jeder seine Kerze, egal ob schon tot oder noch lebendig.
Über den Autor*Innen
Sabine Ludwig
Sabine Ludwig ist eine deutsche Journalistin und Reiseautorin, immer auf der Suche nach außergewöhnlichen Storys. So hatte sie die burmesische Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi zum Interview in ihr Haus in Rangun eingeladen. Lauren Baltridge, ehemalige Privatsekretärin von Jackie Kennedy, empfing sie zum Tee in Washington D.C. und Vera Bohle erzählte ihr über ihr riskantes Leben als Minen-Räumerin. Sabine Ludwig wurde in Würzburg geboren und ist dort zur Schule gegangen.