Es ist zwar noch früh am Morgen, aber schon jetzt ist es heiß und die Luft drückend. Grün in allen Nouancen, soweit das Auge reicht. Das Ziel ist noch lange nicht in Sicht, hinter Schlingpflanzen und hohen Bäumen verborgen. Hier unten, am Namanga Gate, dem Tor zum Kilimandscharo Nationalpark in 1800 Metern Höhe, ist der Gipfel noch drei Vegetations- und Klimazonen, dreieinhalb Tage und 4000 Höhenmeter weit weg. Mein Reiseführer mit dem außergewöhnlichen Namen Godlisten, zwei Träger und ein Koch stehen schon bereit, um loszugehen. Was für sie Arbeitsroutine ist, wird für mich zu einem ganz persönlichen Abenteuer, das ich nie vergessen werde.
Der im Norden des ostafrikanischen Staates Tanzania liegende erloschene Vulkan, der sich aus einer flachen Ebene emporhebt, bedeckt eine Fläche von 80 mal 40 Kilometern und besitzt neben den zwei kleineren Gipfeln Shira und Mawenzi den bis zu 5895 Metern aufragenden Kibo-Gipfel. Dieser Gipfel hat die Gestalt einer riesigen umgedrehten Schüssel und besteht aus einem 2.5 Kilometer breiten Krater, der mit Gletschern bedeckt ist.
Dichter tropischer Regenwald, Wasserfälle und kleine Bäche sind am Tag 1. Unsere Wanderkulisse. Paviane beobachten uns aus einem sicheren Versteck in den Baumkronen. Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir die 2700 Meter hohe Mandara-Hütte, unseren ersten Schlafplatz. Dort gibt es heißen Tee und eine warme Mahlzeit, bevor ich mich in einer der Sechs-Personen-Holzhäuser in meinen Schlafsack kuschle.
Am Mittag des zweiten Tages ändert sich die Vegetation: Der undurchdringliche Wald macht karge Moorlandschaften mit kleinen Sträuchern und winzigen Moorblumen Platz. Endlich sehe ich auch den Kilimandscharogipfel am Horizont. Am späten Nachmittag erreiche ich mit anderen Wanderern die Horombohütte in 3807 Metern Höhe. In dieser Nacht sinkt die Temperatur unter Null Grad, aber ich friere nicht, denn ich habe meine mit heißem Wasser gefüllte Wasserflasche mit in den Schlafsack genommen.
Am dritten Tag gilt es, weitere 1000 Höhenmeter zurückzulegen. Der Weg führt durch eine alpine Wüstenlandschaft: Karge Steine bedecken die endlos scheinende, lebensfeindliche Fläche. Schon hier haben viele der Wanderer Probleme mit der sauerstoffarmen, dünner werdenden Luft: Die Höhenkrankheit mit Kopfschmerzen, Übelkeit und Erschöpfungszuständen macht ihnen zu schaffen. Im Zeitlupentempo geht es voran. Schritt für Schritt durch die leere Landschaft. Die Kibohütte, der nächste Schlafplatz, ist schon lange in Sicht, nur scheint man ihr nicht näher zu kommen. Drei Stunden dauert die Durchquerung des Sattels zwischen den beiden Gipfeln Mawenzi und Kibo.
Hier sind einige der Wanderer mit ihren Kräften am Ende. Die Überkeit und Kopfschmerzen zwingen sie zur Umkehr.
Doch mir geht es außer leichten Kopfschmerzen noch verhältnismäßig gut. An der Kibohütte in 4721 Höhenmetern angekommen, geht es nach dem Abendessen gleich ins Bett, denn die Nacht ist kurz. Schließlich muss die letzte Etappe nachts zurückgelegt werden, wenn die aus kieselsteinartigen Schlacketeilchen bestehenden Geröllfelder noch gefroren sind.
Es ist Mitternacht und minus 20 Grad Celsius, als ich, eingehüllt in die am Hotel geliehenen Skihose, Skijacke, Mondmütze und Handschuhen, mit Godlisten den härtesten Abschnitt des Weges in Angriff nehme. Die Taschenlampe gibt schon in der ersten Stunde ihren Geist auf, sie ist eingefroren. In Zeitlupe trottet Einer nach dem Enderen monoton Stunde um Stunde die steilen Serpentinen hinauf. Meine Lungen ziehen den wenigen Sauerstoff aus der Luft, jede Bewegung wird zur Tortur.
Der Abstand zwischen den einzelnen Pausen ist auf stolpernde Schritte geschrumpft, denn die dünne Luft macht mich atemlos. Unter uns sieht man die Lichter der Taschenlampen derer, die hinter uns laufen, und über uns leuchtet die Milchstraße. Doch die Kälte treibt uns weiter, und um fünf Uhr morgens erreichen wir den tiefsten Punkt des Kraterrandes in 5681 Metern Höhe: Gillman' s Point.
Wir setzen den Aufstieg fort, und endlich erscheinen die ersten Sonnenstrahlen am dunklen Horizont. Der Sonnenaufgang hoch über dem schwarzen Kontinent entschädigt mich für alle Strapazen der vergangenen Nacht. Um 7.10 Uhr erreiche ich den Uhuru Peak in 5895 m Höhe, den höchsten Punkt Afrikas.
Der Kilimandscharo mit dem Kibo ist eigentlich nur ein Vulkankegel, und doch scheinen alle Wanderer hier oben etwas ganz Besonderes zu spüren. Kaum jemand sagt ein Wort. Alle genießen still diesen einzigartigen Moment.
Nach einem kurzen Verweilen geht es an den Abstieg, hinunter in sauerstoffhaltigere Luft und höhere Temperaturen. Es geht leichter – möglicherweise auch aufgrund der sagenhaften Erinnerung, die jeder mit sich trägt.
Noch einmal wird an der Mandara-Hütte übernachtet, bevor es aus dem Kilimandscharo-Nationalpark hinausgeht. Und unten gibt es zur Belohnung erst einmal ein eiskaltes Kilimanjaro-Bier!
Über den Autor*Innen
Christiane Flechtner
Christiane Flechtner, geboren 1972 in Münster und aufgewachsen auf der Nordseeinsel Norderney, hat ihren Lebensmittelpunkt heute in Berlin. Hier war die freie Journalistin und Fotografin viele Jahre als Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Nord-Berliner“ tätig. Doch auch im Ausland ist sie viel unterwegs, angefangen vor allem in Afrika, aber auch in Asien und Europa war sie unterwegs und hat Reportagen über Tier, Mensch und Natur mitgebracht - und das über und unter Wasser. Ihre Hobbys: Reisen, Laufen, Tauchen, Wandern und Fotografieren.