Der erste Eindruck ist zwar wichtig, aber erst ein intensiver zweiter Blick prägt das Wissen um den Erhalt von Lebensräumen nachhaltig. Insbesondere die im Jahr 2009 in die UNESCO-Welterbe-Liste aufgenommene Wattenmeer-Region begeistert durch eine einzigartige Artenvielfalt, die sich dem Besucher erst durch eine Wanderung im Watt mit einem ausgebildetem Naturparkführer erschießt.
Wenn das Wasser weg ist…
Eine Wattwanderung gibt es erst wenn das Wasser weg ist und der Meeresboden im Novembergrau buchstäblich vom Strand bis zum Himmel reicht. Grund genug, sich dem Watt zu nähern und mehr darüber zu erfahren. „Die Bezeichnung Watt“, so steht es im Urlaubsmagazin von Neuharlingsiel geschrieben, „entstammt dem altfriesischen Wort <wad> und bedeutet so viel wie seicht.“ Dass sich ausgerechnet in diesen untiefen Gefilden mehrere tausend Tiere und Pflanzen einen Lebensraum geschaffen haben, ist für Besucher und Gäste der Küstenregion meist nur schwer vorstellbar.
Wattwanderung mit Guide
„Normaler Weise führe ich bis zu 50 Personen ins Watt“, erklärt Bernd Koopmann zu Beginn der Führung. Der Meeresbiologe und zertifizierte Nationalparkführer ist mit hohen Gummistiefeln unterwegs und informiert eine kleine Gruppe an interessierten Urlaubern über die Gefahren bei Wattwanderungen. „Wer im Sommer barfuß, oder jetzt mit Socken ins Watt geht, darf die Muschelfelder nicht unterschätzen. Gerade Miesmuscheln sind spitz und können Schnittwunden verursachen.“ Dann also lieber mit ein paar ausgedienten Turnschuhen die Wanderung beginnen, die schon in Strandnähe zu erheblichen Einschränkungen beim „normalen“ Gehen führt. Der Schlick bleibt an den Fuß- und Schuhsolen kleben und macht ein Vorwärts kommen beschwerlich.
Naturlandschaft ist Weltnaturerbe
Langsam folgt die Gruppe dem Biologen, der sukzessive Auskünfte über den außergewöhnlichen Wert der Naturlandschaft vermittelt. „2009 wurde das Watteneer von der UNESCO für sein außergewöhnliches Naturphänomen zum Weltkulturerbe anerkannt.“ Begeistert von der einzigartigen Vielfalt berichtet Koopmann von einer Fläche, die sich entlang der Nordseeküste von den Niederlanden über Deutschland bis nach Dänemark auf einer Fläche von rund 11.500 km² erstreckt. „Und hier in Neuharlingersiel stehen wir fast genau in der Mitte dieses großartigen Weltnaturerbes mit seiner einzigartigen biologischen Vielfalt.“ Für die weltweit herausragende Bedeutung dieser Vielfalt sind Lebewesen verantwortlich, die mit Ebbe und Flut leben können und sich ebenso mit dem Salzgehalt des Wassers arrangiert haben.
Der Wattwurm
Al besondere Spezies des Wattenmeeres hat sich der Wattwurm einen Namen gemacht. In der Regel sieht man den Wattwurm nicht. Lediglich die an Spaghetti erinnernden Kothaufen im Wattenmeer sind sichtbar. Doch gönnt man sich einen zweiten Blick mit Bernd Koopmann, so ist über dieses nützliche Lebewesen, das unter extremen Umweltbedingungen überleben kann, vieles zu erfahren. Sichtbar wird der Wattwurm allerdings nur bei „Grabungen“, denn er lebt in den sandigen Tiefen des Wattenmeeres, wo er in bis zu zwanzig Zentimetern Tiefe in seinen Wohnröhren zu finden ist. Kraftvoll stößt Koopmann mit seiner Schlickgabel in das Watt und lockert auf der Suche nach den Wattwürmern die Oberfläche des Wattenmeers auf. „Dort wo alles schwarz ist, fehlt der Sauerstoff – aber hier, wo die Wattwürmer leben, zeigen sich Spuren von hellem Sand.“ Koopmann zeigt seinen Gästen einen Teil seiner Ausgrabungen und berichtet darüber, dass die Wattwürmer durch ihre Lebensweise maßgeblich zum Gleichgewicht des empfindlichen Ökosystems beitragen.
Lebensraum und Artenvielfalt
„Der Wattwurm ernährt sich von Sand“, so der Meeresbiologe, der darauf hinweist, dass im Sand Nährstoffe wie Algen und Pflanzenreste enthalten sind, die der Wattwurm zur Nahrungsaufnahme herausfiltert und dann wiederum den Rest-Sand als Kot ausscheidet. Im Zuge dieses Stoffwechselprozesses werden nicht nur abgestorbene Pflanzenreste verwertet, sondern auch Sauerstoff und Nährstoffe produziert, die anderen Tieren des Wattenmeers als Lebensgrundlage dienen. Ein einzigartiges Ökosystem, in dem sich die Lebewesen an immer wieder täglich ändernde Bedingungen anpassen. Koopmann vermittelt in nur 60 Minuten die weitreichende Bedeutung der biologischen Vielfalt, und gibt Einblicke in die Besonderheiten dieser außergewöhnlichen Landschaft, die als Naturerbe zu schützen ist.
Weitere Informationen zu Wattwanderungen in Neuharlingersiel finden Sie hier.....
Über den Autor*Innen
Sabine Zoller
Sabine Zoller lebt im Schwarzwald und hat sich als Historikerin intensiv mit der Region beschäftigt. Als freie Journalistin schreibt sie für verschiedene online Portale, Magazine und Tageszeitungen. Kultur, Handwerk und Brauchtum fasziniert Sie ebenso wie gute Küche und Natur. Ihre Berichte beschäftigen sich mit landschaftlich reizvollen Regionen und lukullisch attraktiven Stationen und machen Lust auf Reisen.