Zeltdachtour auf dem Olympia Stadion in München

 

 

Der Blick schweift auf das Dach des Olympia Stadions, da oben sollen wir spazieren gehen? Geht das? Das ist ganz schön hoch. Treffpunkt ist um halb drei Uhr am Eingang Olympia-Arena. Zuerst geht es zwei Stockwerke im Olympia Stadion nach unten, ins sogenannte Basislager. Hier gibt es zur Einstimmung einen Film, der in zehn Minuten aufklärt, wie alles mit den Olympischen Spielen begann. Das Oberwiesenfeld, auf dem heute der Olympia-Park steht, war einst Brachland, Übungsplatz für die Königlich Bayerische Armee, Flugplatz und nach dem Zweiten Weltkrieg ein Schuttplatz. Durch die Olympischen Sommerspiele 1972, die hier stattfanden, hat sich das Areal total gewandelt, es ist heute Sightseeing-Ziel und ein Ort für Events, Sport und Erholung geworden.

Leichtigkeit und Transparenz

1968 erhielt München den Zuschlag für die Olympischen Sommerspiele, ein Jahr darauf war Baubeginn, dann blieben noch drei Jahre für die Vorbereitung. Aus 100 Entwürfen wurde der Plan von Günther Behnisch ausgesucht. Das Thema war: die Olympischen Spiele im Grünen, der kurzen Wege und mit geringstem Materialaufwand. Die Schwimmhalle, Mehrzweckhalle und Arena sind miteinander mit dem geschwungenen Zeltdach verbunden. Besonders das durchsichtige, scheinbar schwebende Dach sollte für „Transparenz und Leichtigkeit“ stehen und war damit Bestandteil des Konzepts der „heiteren Spiele“. Das Zeltdach, das verschiedene Sportstätten miteinander verbindet, war Sinnbild für das Motto der „Spiele der kurzen Wege“.

Zeltdach

Im Juni 1969 begannen die Arbeiten für das Olympia-Gelände. Günter Behnisch verpflichtete als Partnerarchitekt Frei Otto, dessen Zeltdachkonstruktion auf der Weltausstellung 1967 in Montreal Vorbild für das Olympia-Zeltdach war. Frei Otto war bereits an zahlreichen Bauprojekten mit Hänge- und Membrankonstruktionen beteiligt und für die Olympia-Zeltdachkonstruktion der entwicklungstechnische Berater. Etwa 5000 Bauarbeiter waren an der Baustelle tätig – am Ende sogar Tag und Nacht. Das Stadion war bereits im Frühjahr 1972 fertiggestellt. Am 26. Mai 1972 fand zur Eröffnung das Fußball-Länderspiel zwischen Deutschland und der Sowjetunion statt, das die Gastgeber 4:1 gewannen. Das geplante Zeltdach in München war zehn Mal größer als das Zeltdach der Weltausstellung in Montreal. Um die Tragwerkstatik zu berechnen, wurde ein Drahtmessmodel angefertigt und per Computer von der Universität Stuttgart berechnet. Das war eine Pionierleistung per Computer. 120.000 Mark hat das Modell gekostet. Oberbürgermeister Vogel war nicht begeistert, als Willi Daume, der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland, ihm den Vorschlag machte, dass München sich für die Olympischen Spiele bewerben sollte. Der Oberbürgermeister lehnt ab und meinte, dass München kein Geld hat. Er ließ sich jedoch umstimmen, denn er dachte, dass München den Zuschlag sowieso nicht erhält. Als dann der Zuschlag gegen alle Erwartungen kam, waren es nur noch drei Jahre bis zum Beginn der Spiele. Vom Bundeskanzler Ludwig Erhard kamen Finanzierungszusagen des Bundes. Letztendlich sind dann die Kosten für die Olympischen Sommerspiele mit 137 Millionen Mark drei Mal so hoch geworden.

Günter Behnisch

Günter Behnisch wurde 1922 bei Dresden geboren und starb 2010 in Stuttgart. Er war Architekt und Professor für Architektur und wurde weltbekannt durch den Bau des Münchner Olympiageländes von 1967 bis 1972. Im Jahr 1992 entwarf er den neuen Plenarsaal des Deutschen Bundestags in Bonn, das heutige Bonner Bundeshaus.

Frei Otto und Luftschlösser

Otto Frei wurde bei Chemnitz geboren und starb 2015 in Warmbronn. Er war Architekt und Hochschullehrer an der Universität Stuttgart. Seine Themen waren Leichtbau mit Seilnetzen. Eigentlich wollte Frei Otto, wie sein Vater und Großvater auch, Bildhauer werden. Durch einen Lehrer lernte Otto Segelfliegen und den Modellbau kennen und machte einen Segelflugschein. Das war sein erster Kontakt zu Leichtbauweisen. Er studierte Architektur an der Technischen Hochschule in Berlin und wurde Stipendiat für ein halbes Jahr in den USA. Seitdem war er mit Ludwig Mies van der Rohe befreundet. Es gab nicht viele Bauwerke, die Otto allein entworfen hat, viele seiner Bauwerke sind in Zusammenarbeit mit Kollegen und unter Einbeziehung der Nutzer entstanden. Er selbst bezeichnete sich vor allem als Ideengeber. „Ich habe wenig gebaut. Ich habe viele „Luftschlösser“ ersonnen“. Seine biomorphen Bauformen verdanken ihre Existenz nicht seiner Schöpfungskunst, sondern beruhen auf der Formenfindung von natürlich vorkommenden Strukturen. Die zeltartigen Dachkonstruktionen gehören zu den bekanntesten Bauwerken Ottos. Eine seiner ersten Zeltdach-Konstruktionen war 1957 das Sternenwellenzelt während der Bundesgartenschau und er gestaltete auch den Deutschen Pavillon für die Weltausstellung Expo 67 in Montreal. Frei Otto war der zweite deutsche Architekt, der mit dem Pritzker-Preis, die weltweit wichtigste Architektur-Auszeichnung erhielt.

Mit dem Sicherheitsgurt aufs Zeltdach

Dann ist es soweit, der Sicherheitsgut wird angezogen und unter Tatjanas Kontrolle geschlossen. Jetzt noch eine Teilnahmeerklärung unterschreiben, dann geht es zum Einstieg. Die Treppe wird aufgeschlossen. Ein paar Stufen muss man aufsteigen und dann wird der Mitläufer in der Führungsschiene eingeklinkt. Das ist Vorschrift, damit eine Windboe keinen vom Dach weht. Dann geht es auf einem geriffelten rutschfesten Steg, der an beiden Seiten ein Geländer aus Stahlseilen hat, weiter. Höhenangst kein Problem, denn der Weg ist nicht transparent. Durch den Mitläufer ist man sowieso auf der sicheren Seite. Auf dem gesichterten Rand des Zeltdachs geht es aufwärts. Tief unten kann man die grünen Stuhlreihen durch die Scheiben sehen. Man ist beeindruckt durch die Größe des Stadions. Nach dem Entwurf von Günter Behnisch war das Stadtion für 80.000 Zuschauer ausgelegt und war mit den anderen Sportstätten eine großzügige Landschaftsgestaltung mit begrüntem Berg und See geplant worden. Man ist froh um die leichte Brise, die die Zeltdach-Eroberer erfrischt. Und noch ein positiver Aspekt: Putzfrauen müssen nicht auf dem Dach rumkriechen, um es zu reinigen: Das Dach hat einen Lotuseffekt, es ist selbstreinigend – jeder Regen macht die Scheiben sauber.

Waldi auf dem Zeltdach

Hin und wieder hakt der Mitläufer an den Gelenken der Führungsschiene, er ist wie ein störrischer Münchner Biergartendackel. Deshalb heißt der Mitläufer „Waldi“, so wie damals das Maskottchen der Olympischen Spiele 1972. Dann geht es bergauf, auf einen Zeltdachgipfel. Das letzte Stück ist ganz schön steil, aber absolut rutschfest. Vom höchsten Punkt schweift der Blick auf den Schuttberg, das BMW-Verwaltungsgebäude, das im Volksmund „Vierzylinder“ heißt und auf die „Schüssel“ wie das BMW-Museum heißt. Auf der anderen Seite sieht man die Türme der Frauenkirche in Downtown München, die 4,5 Kilometer entfernt liegt. Am Horizont kann man im Dunst die Voralpen sehen. Dann geht der Blick in die Tiefe, in die große Arena. 1972, bei der Eröffnung der Olympischen Spiele, sind über 7100 Sportler aus 122 Nationen in diese Arena einmarschiert. Am 5. September 1972, nach etwa zwei Dritteln der Spiele, hatten Terroristen der Palästinensischen Befreiungsorganisation zwei israelische Sportler ermordet und neun als Geiseln genommen. Alle Wettkämpfe an diesem Tag wurden abgesagt. Bei einer missglückten Befreiungsaktion kamen die Geiseln, fünf Terroristen und ein Polizist ums Leben. Nach einer Trauerfeier gingen die Olympischen Spiele am nächsten Tag weiter. „The games must go on.“

Zahnbürsten für Riesen

Dann geht es auf dem Dach weiter um die Flutlichter herum, die wie riesige Zahnbürsten aussehen. Bis in die 1990 Jahre war das Olympiastadion die Arena mit dem stärksten Flutlicht in Deutschland. Hier muss man mit Waldi mehrmals ein paar Ecken um die Flutlichtpfosten meistern. Zwölf große Pilonen, wie die Zeltstangen heißen, halten das Dach mit Stahlseilen. Die Seile sind flexibel, so kann sich das Dach bei Sturm, Regen und Schneefall bewegen. Und das Dach bewegt sich tatsächlich, dass sieht man deutlich wenn eine Windböe drüberweht. Zur Befestigung sind die Pilonen, die langen Zeltstangen, mehr als 30 Meter tief im Boden verankert worden und stehen auf Kugelgelenken, damit sind sie flexibel. Das Dach besteht aus Acrylglasplatten, die besonderes hoch gebrannt wurden. Die vier Millimeter dicken Platten werden auf Gummipuffern mit einem Stahlseil gehalten und sind mit Neoprendichtungen versehen. Eine Seillänge, die von München bis Petersburg reicht, wurde für das Dach verarbeitet. Ein Teilnehmer aus einer anderen Gruppe rast gerade mit dem Flying Fox quer über das Stadion nach unten. Flying Fox oder freier Fall, wer es entspannter mag, der nimmt ganz normal den Zeltdachweg bis zur anderen Seite und kann so die ganze Größe des Stadions wahrnehmen. Dann erklärt Tatjana noch, etwas besonderes der damaligen Olympischen Sommerspiele. Revolutionär waren die zum ersten Mal eingesetzten Piktogramme, die von Otl Aicher entworfen wurden und heute weltweit nicht mehr wegzudenken sind. Die radikal reduzierte Zeichensprache wird von allen Menschen international verstanden.

Event und Chillen

Das Olympiastadion München ist heute ein Multifunktionsstadion. Nach den Olympischen Sommerspielen 1972 war die Arena hauptsächlich Spielort des FC Bayern München und TSV 1860 München, bis beide Vereine 2005 in die Allianz Arena umzogen. Die deutsche Fußballnationalmannschaft trug 1974 bei der Weltmeisterschaft und 1988 der Europameisterschaft insgesamt 14 Spiele im Olympiastadion aus. Seit 1982 ist das Olympiastadion die größte Bühne Münchens und wird für Open-Air-Konzerte und Public-Viewing genutzt. So gaben unter anderem AC/DC, Celine Dion, Dire Strait, Elton John, Bon Jovi, Bruce Springsteen, Robbie Williams, und, Michael Jackson, Genesis, Madonna, Depeche Mode Pink Floyd, Prince, Guns N’Roses, Robbie Williams, Rolling Stones, Tina Turner, U2 und die drei Tenöre, Konzerte. Es gab daneben zahlreiche andere Veranstaltungen wie „Rock im Park“ in der Arena, darunter die Leichtathletik-Europameisterschaften 2002, den Stock-Car-Prix 2007, Show-Rennen der DTM in den Jahren 2011 und 2012. Auch der „Cirque du Soleil“ trat bereits im Olympiastadion auf und 1987 zelebrierte Papst Johannes Paul II. eine Messe im Olympiastadion.

Die Anmeldung zur Zeltdach-Tour ist dringend erforderlich

Besucherservice Olympia Park, Tel. 089-3067-2414, besucherservice@olympiapark.de, www.olympiapark.de, www.muenchen.de 

 

Über den Autor*Innen

Gabi Dräger

Wo findet man Gabriele Dräger in den Bergen? Natürlich in einer Alm bei einer Brotzeit., denn Almen mit guter Küche ziehen sie magisch an. Gipfel nimmt sie auch hin und wieder mit. So hat sie einige 5.000er beim Trekking in Süd Amerika und Nepal, bestiegen. Ihre Hochleistung war der Kilimandscharo mit 5.895 Meter. Kultur und Brauchtum faszinieren sie genauso, wie Städte und Kunstausstellungen. Obwohl sie gerne in urigen Berghütten übernachtet ist sie dem Luxus von guten Hotels nicht abgeneigt.