Winterwanderung auf dem Neunerköpfle

Am Scheitelpunkt der Wanderung macht der Weg eine Spitzkehre - Winterwanderung auf dem Neunerköpfle - (c) Maren Recken

Von oben scheint die Wintersonne aus dem strahlend blauen Himmel. Unten knirscht der weiße Schnee unter den Wanderschuhen. Bei klarer Sicht sind die schneebedeckten Gipfel der umliegenden Berge eine atemberaubende Kulisse. „Optimale Bedingungen für eine Winterwanderung auf dem Neunerköpfle-Erlebnisweg“, freue ich mich.

Von Tannheim aus sind wir mit der Neunerköpfle-Gondelbahn bis zur Bergstation gefahren, wo uns Wanderführer Klaus bereits erwartet. „Den Rundwanderweg ums Neunerköpfle können alle gehen, von Drei bis Hundertdrei, da kann selbst die Oma mit dem Enkel laufen“, erzählt er bevor es los geht und preist uns die Vorzüge des etwas über zwei Kilometer langen Rundwanderwegs an: „Der wurde extra so breit gebaut, dass der Pistenbulli dort fahren kann. Und das tut er täglich, damit der Wanderweg immer gut präpariert ist. Das letzte Stück bis zum Gipfel wird per Hand geschippt, wo es besonders rutschig ist, wird Splitt gestreut.“

Laut offizieller Wegbeschreibung startet der Rundwanderweg etwas oberhalb der Bergstation auf 1779 m Höhe und führt gegen den Uhrzeigerinn in südlicher Richtung zunächst unterhalb des Neunerköpfles entlang. Bevor es ungefähr auf halber Strecke, nach einer Spitzkehre, Richtung Norden bis zum Gipfelkreuz des 1841 m hohen Neunerköpfles geht. Die letzten Meter zur Bergbahn sind die gleichen wie zu Beginn der Rundtour.

Wir gehen den Weg in entgegengesetzter Richtung. „Jetzt wo die Mittagssonne den Schnee angetaut hat, könnte es etwas rutschig sein und dann ist das steile Stück Richtung Gipfel bergauf besser zu begehen als bergab.“ Klaus ist ein Bergführer mit 30 Jahren Erfahrung, der nicht nur die Beschaffenheit des Weges bestens kennt, er unterhält uns auch immer wieder mit Legenden. Über die sogenannten Lärmer und Schwärzer beispielsweise, die in der von Schmugglern stark frequentierten deutsch-österreichischen Grenzregion rund ums Tannheimer Tal effektiv zusammengearbeitet haben. Die einen um mit viel Krach die kontrollierende Obrigkeit abzulenken. Die anderen um mit geschwärzten Gesichtern auf geheimen Pfaden zu schmuggeln. Oder über Oma Resi, eine allseits bekannte Schmugglerin, die als Ablenkungsmanöver ein mit Schnaps abgefülltes Ferkel mit Schnuller in der Schnauze in einem Holzkinderwagen über die Grenze geschoben haben und den Zöllnern erzählt haben soll, sie mache mit dem Enkelchen einen Sonntagsausflug. „Welch frappierende Ähnlichkeit mit dem Papa“, sollen diese augenzwinkernd und wohlwissend geantwortet haben.

Gut unterhalten sind wir zwischenzeitlich am Startplatz der Gleitschirmflieger angelangt und beobachten wie diese fast lautlos in Richtung Tannheimer Tal gleiten. „Das Tal ist das schönste Hochtal Europas“ findet Klaus. „Er könnte Recht haben“, finden wir, als wir mit den Blicken den Gleitschirmfliegern folgen. Über mit Splitt durchmischten Schnee geht es weiter in Richtung Gipfel. Der Weg führt unterhalb eines Felsens entlang und ist zum Tal hin mit Halteseil und Zaun abgesichert. Auch an der Felswand ist ein Handlaufseil befestigt. Etwas trittsicher und nicht ganz konditionslos sollte man zwar sein, doch der Weg ist auch für Kinder geeignet und ohne große Bergerfahrung zu begehen. Besonders bei Schnee sind gute, rutschfeste Wanderschuhe allerdings ein Muss.

Wir erreichen den höchsten Punkt der Rundwanderung: Das Gipfelkreuz. Etwas unterhalb erwartet uns das größte Gipfelbuch der Alpen. Zwei Seiten, jede 3 Meter hoch und 2,3 Meter breit. Eine davon informiert über die Entstehung der Gipfelbücher und präsentiert lustige Gipfelbuch-Sprüche, auf der anderen kann man sich eintragen. Die dafür notwendige Leiter steht davor. Wir genießen die spektakuläre Aussicht und hören Klaus zu. Jetzt erzählt er uns von der Zirbelkiefer, die er als die Königin der Alpen bezeichnet, die bis zu 1.000 Jahre alt und bis zu 30 Meter hoch werden kann und deren Holz ganz besondere ätherische Öle enthalte. Die Holzspäne im Kopfkissen seien extrem schlaffördernd. „Da schlafst wie a Murmel“, versichert uns Klaus und erklärt, wenn die Wirkung etwas nachlasse, müsse man das Kissen bei hoher Luftfeuchtigkeit für ein paar Stunden vors Haus legen und schon würden die Zirbelspäne wieder ihre volle Wirkung entfalten.

Immer leicht bergab führt uns der Weg in Richtung des weitesten vom Start entfernten Punktes. Klaus macht uns auf die Spuren eines Schneehasen aufmerksam, die am linken Wegesrand in den Wald führen. „Wenn ihr im Winter einen Schneehasen seht, ist das wie ein Sechser im Lotto“, versucht er uns schmackhaft zu machen, dass wir uns mit den Spuren des vorwiegend nachtaktiven Hasen begnügen müssen, der im Sommer ein grau- braunes Fell hat. Im Winter dagegen schneeweis wird und selbst in frischem Neuschnee nicht einsinkt, weil lange flauschige Haare an den Hinterpfoten wie Schneeschuhe wirken. Die Schautafeln, die im Sommer an 11 Stationen entlang des Neunerköpfle-Erlebniswegs über die Natur, die Bergwelt und das Tierreich informieren, sind im Winter abmontiert. Die Wanderung in den verschneiten Bergen ist trotzdem ein beeindruckendes Erlebnis. An den schattigen Stellen, an denen die Sonne durch die Tannen blitzt ebenso wie dort, wo wir direkt auf die Sonne zu wandern und die beschneiten Gipfel der Bergketten am Horizont im Gegenlicht glitzern. Und schließlich haben wir ja noch Klaus, der humorig-informativ jede abmontierte Infotafel locker ersetzt. Sei es bei einem Exkurs über die Sicherheit beim Bergwandern, in dem er davor warnt sich zu nahe an den Abgrund zu begeben oder die ausgeschilderten Wege zu verlassen, wenn man sich im Gelände nicht auskennt. „Sonst habt ihr ganz schnell die alpine Scheidung: rumpeldipumbel, fort ist der Kumpel“. Oder sei es bei einem Ausflug in die Geschichte des Tannheimer Tals. Das sei vor den 1960er Jahren ein bitterarmes Tal gewesen. Erst mit dem dann beginnenden Tourismus sei in das auf rund 1.100 Meter gelegenen, ungefähr 20 Kilometer lange Tal der Wohlstand eingekehrt. „Da kamen die Busse mit den Touristen und die Einheimischen hatten keine Hotelbetten also wurden Oma und Opa, Onkel und Tante kurzerhand in den Stall auf Strohbetten ausquartiert und die Touristen bekamen die weichen Ehebetten vermietet“, berichtet Klaus. Damals sei übrigens auch das Lied „Die Tiroler sind lustig“ entstanden berichtet Klaus. Und zitiert die entsprechende Liedstelle, an der es heißt: „Die Tiroler sind lustig, die Tiroler sind froh, die verkaufen ihr Bettchen und schlafen auf Stroh.“

----------Infos----------
Mit der Gondelbahn von Tannheim aus aufs Neunerköpfle
Start: oberhalb der Bergstation.
Dauer: 1,16 Stunden
Länge: 1,313 Kilometer
Höhenmeter (aufwärts): 79 m
Höhenmeter (abwärts): 78 m
Weitere Infos: https://www.tannheimertal.com/
Einkehr: Gundhütte, liegt in der Nähe der Bergstation (ca. 5 Minuten), mit Sonnenterrasse.

Über den Autor*Innen

Maren Recken

Maren Recken ist als freie Journalistin mit Videokamera, Fotoapparat und Notizblock unterwegs. Häufig in Italien, am liebsten im Gespräch mit den Menschen vor Ort; auf der Suche nach einer besonderen Story und einem authentischen Reiseziel. Sie veröffentlicht online und in verschiedenen Tageszeitungen, dreht Videos und erstellt Imagefilme. Während und nach ihrem Germanistikstudium hat sie mit verschiedenen privaten Radio- und Fernsehsendern zusammengearbeitet. Bei La Nazione in Florenz hat sie in der Onlineredaktion erlebt, wie Journalismus in Italien funktioniert.