
Lochstein, Brandfelsen, Katzenstein, Lohbergfelsen oder Pfaffenstein: Das sächsische Vogtland ist reich an allerlei bizarren Felsformationen. Die durch das europäische Förderprogramm LEADER geschaffenen Felsenwege setzen sich mit Geschichte und Sagenwelt rund um die „dicken Brocken“ auseinander. Ein geologisches Wunderland voller Abwechslung.
Also gut, ein wenig Fantasie braucht es schon. Doch von der richtigen Stelle aus betrachtet, erinnert der massive Felsblock tatsächlich an einen knienden, vielleicht betenden Mönch. Der Vogtländer jedenfalls ist fest davon überzeugt, dass es sich bei dem grauen Ungetüm einst um einen Bettelmönch handelte, dem im Wald ein Moosmännlein begegnete. Der gütige und freundliche Waldgeist bat den Mönch um den letzten Segen für seine sterbende Frau, das Moosweiblein. Als Lohn bot er einen Sack voll Laub. Doch was tat der hochmütige Mönch? Unbarmherzig verweigerte er den Segen. „Hart wie Stein ist dein Herz, Mönch“, befand der Moosmann daraufhin und verwandelte den undankbaren Gottesmann auf der Stelle in Stein. „Das war eine ziemlich dumme Reaktion des Mönchs, denn hätte er den Sack Laub mit nach Hause genommen, hätte er sich dort in pures Gold verwandelt“, erklärt Franziska Thoß. Die Regionalmanagerin des LEADER-Gebiets „Sagenhaftes Vogtland“ betreut die seit 2016 entstandenen Felsenwege – fünf Rundwanderwege zwischen 9,5 und 27 Kilometern Länge, die sich zum Ziel gesetzt haben, Kultur, Mystik und die geologische Vielfalt der Region rund um die Stadt Falkenstein erlebbar zu machen.
Etliche geologische Besonderheiten
Geologische Vielfalt fürwahr. Es ist eine vom Hohen Stein in Tschechien bis zum Bendelstein in Auerbach reichende Gesteinskette aus Grauwackenquarzit, die allerlei markante Felsen in die waldreiche Landschaft gekleckst hat. Der auf dem Felsenweg 1 – er trägt das Motto „Im Zeichen des Löwenkopfs“ – liegende Kleine Affenfels etwa hatte einst einen größeren Bruder. Doch bereits Ende der 1920er Jahre fiel der Große Affenfels dem Straßenbau zum Opfer. Schottergestein musste her! 1961 wurden die noch verbliebenen Reste gesprengt. Aber was haben die beiden Felsen mit im Vogtland ganz sicher nicht heimischen Affen zu tun? „Gar nichts“, verrät Silke Stark, die ebenfalls für das LEADER-Management tätig ist und gibt einen Schnellkurs in Sachen Vogtländisch: „Ursprünglich hieß der Fels Uhustein. Die Oberfranken, die im Mittelalter hier einwanderten, bezeichneten den Uhu aber als ‚Auff‘. So wurde daraus der Auffenstein. Dummerweise kennt der Vogtländer kein ‚au‘“, bemerkt Stark schulterzuckend. „Frau heißt bei uns ‚Fraa‘. Also wurde aus dem Auffenstein der Affenstein.“ Aha. Folgt der Wanderer von dort der Markierung, so gelangt er schon bald zum Rehhübelfelsen. An dem haben Geologen so richtig Spaß. Der Fels wirkt irgendwie verbogen. Mehrere Schichten haben sich übereinandergelegt wie ein riesiges Doppel- bis Dreifachkinn. Der Fachmann spricht von einer „überkippten Falte“. Die sei in dieser Größe in Europa einmalig und den Jahresringen von Bäumen vergleichbar. Wen dieses geologische Phänomen nicht gleich in Ekstase versetzt, dessen Pulsschlag erhöht sich vielleicht auf dem Felsenweg 5, der sich „Zwischen Roter und Weißer Göltzsch“ bewegt. Denn: Im Flusssediment wurde Gold gefunden! Schon 1580 wurden einem Wolf von Schöneberg „zwenne Gold-Seiffen“ verliehen. Der Startschuss für einen sagenhaften Goldrausch wie am kanadischen Klondike? Von wegen! In der Gegend rund um den Ort Ellefeld wateten keine kernigen Vogtländer im roten Karohemd durch das seichte Flussbett. Sie schürften auch keine Nuggets in der Größe von Fabergé-Eiern aus der braun-grünen Brühe. Gerade mal 83 Goldblättchen gab die Göltzsch, ein etwa 40 Kilometer langer rechter Nebenfluss der Weißen Elster, her. Gesamtgewicht? 23 Milligramm. Nicht abbauwürdig. Berechnungen ergaben, dass es 1500 Kubikmeter Halden-Material gebraucht hätte, um 16 Gramm Gold zu gewinnen. Reich wird man damit nicht. Woher das Gold überhaupt kommt, können Geologen übrigens bis heute nicht sicher sagen. Unzweifelhaft dagegen: Der 23 Meter hohe Schneckenstein, das Highlight des Felsenwegs 4, stellt ebenfalls eine geologische Besonderheit dar, noch dazu eine deutlich kostbarere als die Mini-Goldfunde an der Göltzsch – er ist der weltweit einzige oberirdische Topasfelsen. Die gelben Halbedelsteine, die ab 1734 von der Zeche Königskrone abgebaut wurden, gelten als „sächsischer Diamant“. Im Grünen Gewölbe in Dresden zieren sie so manches adlige Geschmeide – und verlockten in der Vergangenheit den ein oder anderen Hobbymineralogen zum Plündern. Ein Zaun verunmöglicht heute den dreisten Gesteinsklau. Wanderer können den Schneckenstein trotzdem erklimmen: gegen einen kleinen Eintritt von einem Euro.
Unterschiedliche Themenschwerpunkte
Markante Gesteinsformationen gehören zu allen fünf Felsenwegen, aber jeder legt einen anderen Themenschwerpunkt. Während am Felsenweg 3 sagenhafte Ein- und Ausblicke locken – allein vom Lochstein entfaltet sich ein wunderbarer Weitblick bis hinunter ins Stadtgebiet von Falkenstein – stehen am Felsenweg 2 „Flößerei und Wasserkraft“ im Vordergrund. Dort führt der Wanderweg an einer ingenieurtechnischen Meisterleistung des 16. Jahrhunderts entlang: dem teils heute noch Wasser führenden Floßgrabensystem. In der Regierungszeit des Sächsischen Kurfürsten August I wuchs der Brennholzbedarf vor allem aufgrund der Salzgewinnung in den Salinen im Leipziger Raum und in Halle immens. Um das vogtländische Scheitholz bis dorthin zu bringen, gruben sich ab 1578 unzählige Hände in schwerer körperlicher Arbeit durch den harten Fels. So entstand als Erstes der Obere Floßgraben, der die Rote Mulde über den „Kleinen Riß“ und die „Rißfälle“ – den einzigen Wasserfall des Vogtlands – mit der Weißen Göltzsch verband. Man mag es kaum glauben, doch Kostenexplosion am Bau ist beileibe nicht nur ein Problem des 21. Jahrhunderts. Die ursprünglich von Baumeister Lorenz Fritzsch veranschlagte Summe von 650 Florentiner Gulden wuchs im Laufe der Bauzeit um weitere 347 an. Die Methoden, um dem Fehlbetrag Herr zu werden, waren allerdings deutlich rabiater als heutzutage. Kurfürst August forderte die knapp 350 Gulden kurzerhand von Fritzsch zurück, der daraufhin seinen Besitz verlor und verarmte. Die straff organisierte Flößerei dagegen war für die sächsischen Kurfürsten über 280 Jahre ein äußerst gewinnbringendes Geschäft. Erst die Entwicklung der Eisenbahn ab 1835 machte damit Schluss. „Um das kulturhistorische Erbe nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, hat sich 1993 im Ort Muldenberg ein Flößerverein gegründet“, erzählt Franziska Thoß. „Der veranstaltet einmal im Jahr ein Flößerfest und führt dann ein Schauflößen vor, das sich immer großen Zuspruchs erfreut.“ Genau darauf hoffen die Macher der Felsenwege auch: Dass immer mehr Wanderer auf den jahrhundertelang gegangenen Wegen die Schönheit dieser einmaligen und geologisch so reizvollen Kulturlandschaft entdecken.
Über den Autor*Innen

Alexa Christ
Alexa Christ ist freie Journalistin, Moderatorin und Sprecherin. Schon früh hat sie sich mit dem Reisevirus infiziert und sich auf in die Welt gemacht. Beim Wandern liebt sie es, ungewöhnliche Geschichten und Menschen entlang der Wege aufzuspüren und von ihnen zu berichten. Sie ist viel in den Alpen unterwegs, hat aber auch Schwerpunkte in Großbritannien, wo sie eine Weile als Wanderreiseleiterin tätig war, und in Nordamerika, sowie in allen Regionen, die guten Wein anbauen. 2020 ist sie selbst von Köln an die Nahe gezogen.