Der 100 Kilometer lange Fernskiwanderweg durch den Schwarzwald von Schonach zum Belchen bietet sportliches Naturerlebnis pur
Die Steigung misst zwei, höchstens drei Prozent. Genau das Richtige, um bei minus fünf Grad auf Betriebstemperatur zu kommen, aber nicht gleich außer Atem zu geraten. Und in der perfekt gespurten Loipe in einem gefühlten Zustand von Leichtigkeit einfach so seinen Gedanken nachzuhängen. Kilometerlang hält dieses wunderbare Gefühl im tief verschneiten Wald an. Skilanglauf macht Spaß. Hüttenwandern mit Rucksack auch. Beides zusammen ergibt die perfekte Symbiose eines winterlichen Naturerlebnisses der besonderen Art. Wir sind unterwegs auf dem Schwarzwälder Fernskiwanderweg, dem abwechslungsreichsten und schönsten seiner Art in Deutschland. Exakt 100 Kilometer zieht er sich von Schonach über Hinterzarten und den Feldberg bis zum Fuß des Belchen. Es sei „die letzte große Herausforderung im Schwarzwald“, meint die in Schonach ansässige „Arbeitsgemeinschaft Fernskiwanderweg“ stolz.
Bereits vor mehr als 40 Jahren hatte sich ein halbes Dutzend lokaler und regionaler Tourismus-Organisationen, dazu der Hotel- und Gastsstättenverband sowie eine Reihe von Skiclubs zu einem Verein zusammengeschlossen. Ihre Idee: die örtlichen Loipen-Netze über eine große Distanz von Nord nach Süd zu einem Fernskiwanderweg zu verbinden. Ein Spaziergang ist er nicht. 100 Kilometer sind 100 Kilometer, hinzu kommen in einem steten Auf und Ab respektable 2.300 Höhenmeter. Und das alles mit einem Rucksack hintendrauf, der für eine Drei- oder Viertagestour in den seltensten Fällen weniger als sieben bis acht Kilo wiegt. Eine falsche Gewichtsverlagerung in einer kurvigen Abfahrt – und ungewohnte Kräfte werfen den Hobbyläufer gnadenlos in den Schnee. Mehr als einmal liege ich wie ein Maikäfer auf dem Rücken und versuche mich mühsam wieder hochzurappeln, während der Rucksack permanent zum Erdmittelpunkt strebt.
Der Fernskiwanderweg ist aber nicht nur anstrengend, sondern vor allem schön. Die Landschaft wechselt im Viertelstundentakt. Längere Waldpassagen gehen schnell über in offenes Wiesen- und Weidegelände, auf dem im Sommer die Kühe grasen. Immer wieder passieren wir einsam gelegene Bauernhöfe. Fast alle sind sie in der typischen Schwarzwälder Architektur erbaut, mit großen, weit ausladenden Dächern, unter denen Mensch und Tier gemeinsam leben. Jetzt im Winter, auf 1.000 Meter Höhe und mehr, scheint das Leben dort buchstäblich erstarrt und eingefroren. Uns kümmert das nur wenig, selbst bei strengen Minusgraden. Schließlich lädt alle paar Kilometer ein gut geheizter
Gasthof zum Auftauen und zum Stärken ein. Schlechtes Wetter gibt es einer alten Wandererweisheit zufolge ohnehin nicht. Sondern nur schlechte Kleidung.
In die Loipe, fertig, los
Wer Glück hat, der findet nahezu die gesamten 100 Kilometer in einem perfekt gespurtem Zustand. Welche Verbindungsloipen zwischen den Langlaufzentren tatsächlich präpariert werden, darüber entscheiden die örtlichen Loipenmacher. Der größere Teil Strecke der Strecke führt durch den Wald, „und da brauchen wir für unsere Spurgeräte mindestens 20 Zentimeter Schnee, damit wir keine Probleme mit den meist privaten Waldbesitzern bekommen“, so Heidi Spitz von der Arbeitsgemeinschaft.
Die größten Chancen bieten sich an einem Wochenende im Februar, wenn beim traditionellen Rucksacklauf die besonders Sportlichen eine Strecke von 60 Kilometer bis Hinterzarten oder sogar die volle 100 Kilometer-Distanz bis zum Belchen an nur einem Tag in Angriff nehmen. „Die letzten Jahre fanden die Rennen leider nur noch alle zwei oder drei Jahre statt“, bedauert Heidi Spitz. Der Klimawandel macht auch vor den Hochlagen des Schwarzwalds nicht halt. Deutlich häufiger als früher verwandeln Wärmeeinbrüche, Regen und Wind innerhalb weniger Tage selbst beste Loipen in Schnee- und Matschwüsten. Wer es sich erlauben kann, der entscheidet sich kurzfristig. Blick auf den Loipenbericht, Blick auf den Wetterbericht, Blick auf den Terminkalender – alle Signale auf grün, los geht’s! So machen auch wir es. Mein Weggefährte heißt Uli, ein kleiner, drahtiger Schweizer, der am Berg meistens der Schnellste ist. Im Sommer wurde er 75, vor ein paar Jahren ist er mit seiner gleichaltrigen Frau mit dem Fahrrad von Zürich bis nach Istanbul gefahren. Morgens macht er regelmäßig eine Stunde lang Gymnastik. Für jeden sportbegeisterten Best-Ager ist dieser Mensch ein Leuchtturm.
Ambitionierte Skiwanderer schaffen den gesamten Fernskiwanderweg in drei Tagen. Wir lassen es etwas gemütlicher angehen und gönnen uns vier. Die erste Etappe von Schonach bis zur Martinskapelle an der Donauquelle ist mit nur 15 Kilometern zum Warmlaufen gedacht. Die Mathematik lässt sich freilich nicht überlisten, den Preis für den lockeren Auftakt zahlen wir am zweiten und vor allem am dritten Tag. 36 Kilometer geht es vom Thurner in der Nähe von St. Märgen über die Weißtannenhöhe, Hinterzarten und den Feldberg. Die Etappe flößt Respekt ein, nicht nur ihrer Länge wegen. Der lange Anstieg zum Grübelesattel unterhalb des Feldberggipfels kostet Kraft. Zum Glück haben wir in Hinterzarten noch einmal Kohlehydrate „getankt“. Zwei Kilometer durch den Bergwald geht es derart eng und steil zu, dass keine Maschine dort eine Spur legen könnte.
Südpol oder Feldberg?
Spätestens hier wird der Fernskiwanderweg zu einer Herausforderung, die sich kurz darauf auf der freien Fläche in Richtung Sattel zu einem echten Abenteuer ausweiten kann. Alpinerfahrene mögen über eine Höhe von 1.400 Metern nur müde lächeln. Wenn jedoch Wolken die Sicht nur noch auf die eigenen Skispitzen erlauben, ein eisiger Ostwind über die Kuppen von Deutschlands höchstem Mittelgebirgsberg pfeift, er den Schnee in die Spur peitscht und die Schutzbrille einhüllt, dann ist selbst hier höchste Vorsicht geboten. „Amundsen und Scott auf dem Weg zum Südpol“ geht mir durch den Kopf, als wir genau diese Wetterkapriolen erleben. Wo ist oben, wo ist unten, wo ist links und wo ist rechts? Wir wissen es nicht mehr, folgen den falschen Markierungen und verlaufen uns. Zum Glück sind wir zu zweit, jeder für sich allein wäre vermutlich in den Panikmodus verfallen.
Nach kurzem, aber gefühlt endlosem Suchen in eisiger Kälte finden wir zurück auf die Trasse. Ein heißer Tee in der Todtnauer Hütte gibt uns bald darauf die Lebensgeister zurück. An diesem Tag sind wir insgesamt neun Stunden unterwegs, erst im letzten Tageslicht erreichen wir unser heutiges Etappenziel, den rustikalen Berggasthof am Stübenwasen. Gelegen mitten im weißen Nichts lädt uns auf 1.270 Meter Höhe das warme Licht der Gaststube durch die Fenster zum Auftanken ein. Wir beziehen ein einfaches Zimmer mit einem kleinen Bad – mehr braucht es für den Skiwanderer nicht. Von etwas „G’scheits“ zum Essen und zwei Viertel Rotwein einmal abgesehen. Am nächsten Morgen spricht mein ganzer Körper mit mir, weigert sich anfangs sogar, das Bett zu verlassen. Sportliches Skiwandern ist entgegen landläufiger Meinung nichts für Altersschwache.
Am letzten Tag können wir etwas geruhsamer angehen lassen. Bis zur Passhöhe am Notschrei geht es fast nur abwärts, nur rund um das Wiedener Eck am Eingang zum Münstertal gibt es noch einige zwar kurze, aber durchaus knackige Anstiege. Den Gipfel des Belchen, mit 1.414 Metern die dritthöchste Erhebung im Schwarzwald, lassen wir rechts liegen. Die letzten Kilometer gleiten wir sanft hinab zum Ziel in Multen-Aitern. Das Gefühl es geschafft zu haben, mal wieder geschafft zu haben, lässt sich nur schwer in Worte fassen. Wir schnallen die Ski ab, ein letztes Mal. Wie bestellt wartet am Ziel ein schöner Lastgasthof. Ein Schild vor dem Eingang lockt mit selbstgemachter Schwarzwälder Kirschtorte. Die hatten wir in den letzten Tagen noch nicht.
Wenn nicht jetzt, wann dann..?
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Über den Autor*Innen
Klaus Pfenning
Klaus Pfenning fuhr schon mit dem Fahrrad in den Kindergarten und durchstreifte mit seinen Eltern die Berge, vorzugsweise den Odenwald und Tirol. Ein Urlaub ohne Satteltasche oder Rucksack ist für ihn bis heute nur schwer vorstellbar. Als „Very Best Ager“ paart er seine Ausflüge in die Natur mittlerweile am liebsten mit „was G’scheits auf dem Teller und im Glas“.
Als begeisterter Alpinskifahrer hat er vor einigen Jahren seine Liebe auch zum Skilanglauf entdeckt. Und dabei die Erfahrung gemacht, dass diese Form der Bewegung viel anstrengender und schweißtreibender sein kann.