Im Reich der Schmetterlinge

Lautertal - Aussicht Hohengundelfingen - (c) Evelyn und Ralph Scheer

Auf der Schwäbischen Alb zählt das Große Lautertal zu den beeindruckendsten Wandergebieten. Das Flüsschen Große Lauter schlängelt sich durch blütenreiche Wiesen, bewacht von zahlreichen Burgen, die auf den Erhebungen ringsumher thronen. Idylle pur. Kein Wunder, dass die Region mit dem Titel Deutschlands Naturwunder 2019 gekrönt wurde.

Wenn wir das Paradies malen müssten, sähe es sicher genauso aus. Uns umgibt eine Palette aus Grüntönen, es duftet würzig nach Kräutern. Doch Moment, es gesellt sich ein weiterer, wohlbekannter Duft hinzu, der uns das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. Rote Würstchen und Stockbrote brutzeln über dem Feuer der Grillstelle. Kinderlachen hallt zu uns herüber, Bälle fliegen umher – ganz klar, hier ist die Welt noch in Ordnung. Wir befinden uns in der Nähe des Wanderparkplatzes Heiligental bei der gleichnamigen Liegewiese, der Start unserer Rundtour ist.

Fotomotive in Hülle und Fülle
Auch wenn der Platz zum Verweilen einlädt, uns zieht es weiter. Wir wandern entlang der Großen Lauter, die idyllisch durch das Tal mäandert. Weit kommen wir nicht, schon ist das erste Fotomotiv in Sichtweite. Schnell befreien wir die Kamera aus dem Rucksack – der Blick auf die Kulisse von Niedergundelfingen ist einfach zu hübsch, um ihn nicht festzuhalten. So wie wir uns kennen, lohnt es sich nicht mehr, die Kamera zu verpacken. Die Natur im Großen Lautertal ist von einer atemberaubenden Schönheit, und wir wollen stets bereit sein, diese für die Ewigkeit festzuhalten.

Zum Glück haben wir die Kamera noch griffbereit, denn gleich heißt es, keine Zeit zu verlieren. Am Wegesrand labt sich ein Schmetterling an einer weißen Blüte, den wir noch nie zuvor gesehen haben. Seine Flügeloberseiten sind schwarz mit weißen Flecken. Beim genaueren Hinsehen fällt uns auf, dass das filigrane Geschöpf einen fast feenhaften Blauschimmer hat. Ein spannender Moment im Leben eines Fotografen: Wird es gelingen, das flatterhafte Wesen perfekt einzufangen, bevor es sich wieder in die Lüfte erhebt? Ja, es hat funktioniert. Ein Schmetterlingsspezialist klärt uns später auf, welch seltenes Exemplar wir entdeckt haben. Es handelt sich um den gefährdeten und seltenen Blauschwarzen Eisvogel, der in Deutschland nur noch auf der Schwäbischen Alb vorkommt.

Einkehr auf Burg Derneck
Mit dem Schmetterling ziehen auch wir weiter. Da wir uns im burgenreichsten Tal Deutschlands befinden, lässt das erste Bauwerk nicht lange auf sich warten. Eine „Einkehr hinter dicken Mauern“ verspricht die Burg Derneck auf einer Höhe von 655 Metern, die wir als Nächstes ansteuern. Nicht zu übersehen ist, dass sie Eigentum des Schwäbischen Albvereins ist: Zwei große Logofahnen vor den Toren bilden einen bunten Kontrast zum historischen Ambiente. Degenhard von Gundelfingen ließ die Festung, die damals noch Burg Degeneck hieß, um 1340 am Ende eines Höhensporns errichten. Von der spätmittelalterlichen Anlage sind noch Teile der Schildmauer und des Turms erhalten.

In der jüngeren Zeit sorgen Gastronomie und ein Wanderheim dafür, dass die Wandersleute ihren Akku wieder aufladen können. Der selbst gebackene Kuchen dort ist eine Sünde wert. Wer sich lieber selbst versorgen möchte: Unterhalb der Burg gibt es schon die nächste Grillmöglichkeit und einen Spielplatz. 
Vorbei an artenreichen Blumenwiesen, in denen unzählige Insekten flattern, summen und brummen und durch einen lichten Buchenwald, geht es noch ein paar Höhenmeter nach oben zum Aussichtspunkt Lautertalblick. Ein aus einem Baum herausgearbeiteter Holzthron mit Krönchen lädt ein zu einer majestätischen Rast mit überwältigendem Blick auf die Große Lauter, die uns zu Füßen ihre Runden dreht.   

Traumaussicht von Burg Hohengundelfingen
Wer rastet, der rostet, sagen wir uns und machen uns an den schweißtreibenden Aufstieg zur zweiten Burg des heutigen Tages. In Serpentinen wandern wir auf einem alpin anmutenden Pfad hinauf. Der erste Eindruck der Burgruine Hohengundelfingen ist das Bossenquader-Mauerwerk des Bergfriedes. Ein paar Fotos später erobern wir das Innere der mittelalterlichen Adelsburg, wo die Spuren der Herrscher von damals eindeutig sichtbar sind. Erbaut hatten die Burg die Edlen von Gundelfingen im 12. Jahrhundert. Nach einer eingehenden Besichtigung der Anlage begeben wir uns zu den Außenmauern. Uns stockt der Atem. Es ist ein Gefühl, als stünden wir auf einem überdimensionalen Aussichtsbalkon. Sofort werden wir in den Bann gezogen von dem Blick über das Große Lautertal. Spontan stechen uns die intensiven Farben ins Auge. Grün in allen Schattierungen vor tiefblauem Himmel mit malerischen Schäfchenwolken. Erst auf den zweiten Blick registrieren wir die Einzelheiten des umwerfenden Panoramas. Wir nehmen auch den Umlaufberg der Großen Lauter, auf dessen Gipfel die Ruine Niedergundelfingen thront, die zuvor besichtigte Burg Derneck, die Festung Hohenhundersingen und die hübschen Häuser der Gemeinde Gundelfingen im Tal bewusst wahr. 

Langsam, aber stetig erobert sich die Natur ihren Platz inmitten der Burganlage zurück. Efeu umrankt die Mauer, ein Baum scheint direkt aus dem steinernen Boden emporzuwachsen. Ehrenpreis mit seinen zarten violetten Blüten hat es sich in den Fugen der mächtigen Mauerquader gemütlich gemacht. Magisch ziehen uns die blühenden Oreganopflanzen an, die auf dem Burggelände ihren Duft verströmen. Auch Schmetterlinge wie der Kleine Fuchs lassen sich von dem Aroma betören, während sie mit ihren langen Rüsseln den Nektar aus den Blüten saugen.  

Gesamtkunstwerk Großes Lautertal
Immer wieder kreuzt unser Weg im Laufe der Wanderung die Große Lauter, die unermüdlich ihre Schleifen in die Landschaft malt, bevor sie nach 37 Kilometern in die Donau mündet. Wir entdecken unzählige blaue Prachtlibellen am Flussufer, die wie funkelnde Saphire umherflattern. Und wir beobachten weitere Sommervögel, wie man die Schmetterlinge bis zum Mittelalter nannte: In diesem Paradies tummeln sich noch viele Arten vom schwarz-weißen Schachbrett über den Roten Scheckenfalter bis zum Perlmutterfalter. Im Wald fesselt eine Waldhyazinthe, eine weißblühende Orchidee, unsere Aufmerksamkeit. Überhaupt ist der Wegesrand gesäumt von einer einmaligen botanischen Fülle. Glockenblumen, Kamille und Disteln sind unsere Begleiterinnen.

Weil wir von diesem Naturerlebnis nicht genug bekommen können, verlängern wir unsere Tour noch um eine weitere, kürzere Runde. Durch schattenspendende Laubwälder, über die glasklare Lauter und vorbei an den albtypischen Wacholderheiden arbeiten wir uns zum Aussichtspunkt Bürzel bis auf eine Höhe von 718 Metern empor. Wiederum sind wir hellauf begeistert von der Großen Lauter, die vor unseren Augen die Gundelfinger Schleife dreht. Wir genießen die Aussicht auf die Burgen Niedergundelfingen und Hohengundelfingen und atmen tief durch, als wir uns auf der Holzbank zu einer Rast niederlassen – und gar nicht an den Heimweg denken wollen. Das Große Lautertal haben wir zwar nicht gemalt, aber zumindest mit der Kamera und in Gedanken festgehalten. 

Info
Natur im Großen Lautertal
Allein 65 Höhlen sowie 20 Burgen und Burgstellen zählt das Große Lautertal. Es ist Teil des UNESCO Biosphärenreservats Schwäbische Alb. 37 Kilometer mäandert die Große Lauter von der Quelle bei Offenhausen bis zur Mündung bei Lauterach. Sie erschuf gemeinsam mit den Menschen eine Kulturlandschaft auf der Schwäbischen Alb mit den unterschiedlichsten Lebensräumen: von Wacholderheiden über Mähwiesen, Kalkfelsen, Feuchtwiesen bis zu Buchenwäldern mit Waldmeister und Orchideen. Neben unzähligen Schmetterlingen haben Tiere wie Eisvogel, Biber und Wasseramsel hier ihr Zuhause. 

Wandertipps
Zertifizierter Premiumwanderweg „hochgehswiggert“
Die Tour folgt dem Motto „hochgehen und runterschauen“. Eine traumhafte Aussicht gepaart mit intensiven Naturerlebnissen, Burgruinen, Einkehrmöglichkeiten und Grillstellen sorgt für Abwechslung. Verlängerungsmöglichkeit: Premiumspazierweg „hochgehbürzelt“. Weitere Informationen und die Tour gibt es hier... 

Typ: Rundwanderweg
Länge: 6,2 Kilometer
Anstieg und Abstieg: 211 Höhenmeter
Dauer: 3 Stunden
Schwierigkeitsgrad: mittel (steile Anstiege)
Höchster Punkt: 744 Meter
Markierung: grünes Wegzeichen „hochgehswiggert“      

Über den Autor*Innen

Evelyn und Ralph Scheer

Evelyn und Ralph Scheer

Evelyn und Ralph Scheer haben ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht: Wandern, Reisen, Schreiben und Fotografieren. Evelyn arbeitet als freie Journalistin, Ralph als freier Fotojournalist. Sie sind für verschiedene Magazine, Tageszeitungen und Online-Medien tätig. Evelyn war zuvor als Diplom-Betriebswirtin bei einem Reiseveranstalter angestellt, und Ralph war als Diplom-Bauingenieur an vielen schönen Orten in Deutschland, Europa und darüber hinaus unterwegs.