Komiker, Moderator und neuerdings auch Langzeit-Camper Wigald Boning wagte ein Experiment: Für ein halbes Jahr lang sagte er Matratze und Federbett ade und zog aus, um draußen zu schlafen: auf Campingplätzen, auf Häuserdächern und Balkonen, am Strand, auf Parkbänken und sogar in Flussbetten. Was er dabei erlebt hat, erzählt er in seinem Roman „Im Zelt“ und im offenen Interview bei der Reise- und Freizeitmesse „f.re.e“...
WF: Herr Boning, wie kamen Sie auf Ihre verrückte Idee?
Wigald Boning: Es war in einer heißen Sommernacht im August, als ich in meiner Wohnung in der Münchner Innenstadt, Schwierigkeiten hatte, nachts in den Schlaf zu finden. Also fasste ich den Entschluss, eine Nacht am Isar-Ufer zu verbringen, dachte mir, das kühle Isarwasser könne mir sicher Linderung verschaffen. Ich fand sogar etwas Besseres als ein Ufer-Plätzchen: eine Kiesbank südlich der Großhesseloher Brücke, zu der ich mit meiner Isomatte und meinem Schlafsack rübergewatet bin und diese zu meiner „Boning“-Insel erklärte. In dieser Nacht schlief ich wunderbar. Also machte ich es die nächste Nacht gleich noch einmal und hatte so einen Spaß daran, dass ich mir dachte: „Warum soll ich überhaupt wieder rein? Es gibt gar keinen Grund, wieder in die eigenen vier Wände umzuziehen.“ Aus der Idee, kurzfristig, wegen der Hitze, auszuziehen, wurden schließlich 204 Nächte.
WF: Ich nehme an, Sie haben dann aber nicht mehr unter freiem Himmel, sondern in einem geräumigen Wohnzelt übernachtet?
Wigald Boning: Nein, als das Wetter schlechter wurde, hatte ich nur ein ganz kleines Einmannzelt bzw. zwei im Wechsel im Einsatz. Dazu eine selbstaufblasbare Luftmatratze, für den Winter einen Dreijahreszeiten-Schlafsack und für extreme Kälte eine Unterleg-Schaumstoffmatratze. Und das Ganze trug ich, samt meinem gesamten Hausstand, in einem großen Rucksack mit mir herum. Ich habe während der Zeit ja auch ganz normal gearbeitet. Das heißt, meine Arbeit besteht ja darin, dass ich für Auftritte herumreise, und ich habe den Veranstaltern gesagt: „Für mich bitte kein Hotelzimmer buchen! Ich freue mich dagegen über einen schönen oder originellen Zeltplatz.“ So schlief ich an sehr interessanten Orten, wie z.B. dem Mittelkreis des Weser-Stadions in Bremen, unter einem Gipfelkreuz in den Alpen, am Strand der Ost- und Nordsee, in Köln am Rhein, in Privatgärten und mehr. Und ich muss sagen: Gegenüber dem Hotelleben hat das Zelten viele Vorteile: Ich habe meine Ruhe, komme immer wieder an interessante Orte, ich kann mir einen Schlafplatz der eigenen Wahl, eventuell mit einem tollen Ausblick, aussuchen. Außerdem findet man sich, wenn man nachts aufwacht, im eigenen Zelt sofort zurecht.
WF: Welche Gebrauchsgegenstände hatten Sie dabei?
Wigald Boning: Erst hatte ich viel zu viel dabei. Anfangs dachte ich mir noch: „Deine Wohnung ist jetzt das Zelt, also nimm dir ein Miniatur-Bücherregal mit kleinen Büchern mit, häng dir Kunst auf und mach’s dir wohnlich!“ Von dem Ballast habe ich mich jedoch nach wenigen Wochen getrennt und mich fortan auf das Nötigste konzentriert: Zahnbürste, Zahnseide (auch als Not-Nähgarn, falls der Reißverschluss vom Zelt kaputtgeht, verwendbar) und eine gute Beleuchtung. Für mein Essen hatte ich außerdem Bergsteiger-Packs und einen kleinen Esbit-Kocher dabei. Den habe ich aber nur genutzt, wenn ich Zeit und Lust dazu hatte, sonst bin ich ins Restaurant gegangen. Die Aufgabe, die ich mir gestellt hatte, lautete ja: An der frischen Luft übernachten. Essen nicht unbedingt. Einen morgendlichen Kaffee habe ich mir jedoch immer selber gekocht.
WF: Wie haben Sie sich, wenn Sie am nächsten Tag Termine hatten, frisch gemacht?
Wigald Boning: Auf jedem Campingplatz gibt es ja Toiletten und Waschhäuser. In der Not habe ich mir auch zwischendurch, in meiner großen Faltflasche, die unbedingt zu meiner Grundausstattung gehört, auf Friedhöfen Wasser besorgt. Mein persönlicher Geheimtipp: Wenn man Lackschuhe trägt, die, vorher abgewischt, wunderbar glänzen, unterstellen die Leute sofort: „Ah, das muss ein sauberer Mensch sein. Nur saubere Menschen tragen geputzte Lackschuhe.“ Das war auch eine psychologische Eselsbrücke, mit der ich mich durchgemogelt habe.
WF: Welche Anfänger-Fehler haben Sie gemacht?
Wigald Boning: Zunächst habe ich viele Anfänger-Fehler gemacht und hatte keine Ahnung, in welche Gefahr ich mich begab. Zum Beispiel habe ich mich in Braunschweig neben einem Bauzaun niedergelassen, der dann nachts, während eines Sturms, umgeweht wurde. Zwei Meter weiter in meine Richtung und meine Beine wären vom Rumpf abgetrennt worden. Ich dachte auch, beim ersten schweren Gewitter: „Ein Zelt ist so etwas wie ein faradayscher Käfig. Da kann ja überhaupt nichts passieren!“ Später wurde ich eines Besseren belehrt, erfuhr, dass ein Zelt überhaupt keine gute Idee bei Blitz ist. Glücklicherweise bin ich noch einmal glimpflich davongekommen. Aufregend war es auch, im Dunkeln einen geeigneten Schlafplatz zu finden. Wenn man das geschafft hatte, und, bei Regen, im Trockenen in den Schlafsack gekommen war, war alles super. Besser als das Leben im Haus – wie ich finde.
WF: Welche Schlafplätze würden Sie, im Nachhinein, weniger empfehlen?
Wigald Boning: Die Isar ist zum Beispiel mit Vorsicht zu genießen. Schon das Wasserwirtschaftsamt Sylvensteinspeicher hatte mich gewarnt: „Wenn man sich auf die Kiesbank legt, und wir lassen hier oben am Sylvensteinspeicher Wasser ab, wird man weggeschwemmt. Und jetzt würde ich Ihnen, Herr Boning, mal langsam empfehlen, Land zu gewinnen.“ Den Rat habe ich dann auch befolgt. Denn lebensmüde bin ich nicht. Auch diverse Experimente mit Verkehrsinseln waren spannend. Ich habe mir gedacht, auf dem Mittelstreifen zwischen zwei Fahrbahnen, das wäre bestimmt lustig und auch ein gutes Fotomotiv. Aber so ein Mittelstreifen ist nicht wirklich geeignet. Das war auch, bevor ich den Wert von guten Ohrstöpseln erkannt habe. Also gute Ohrstöpsel sollte man als Zelter, über längere Zeit, auf jeden Fall dabei haben.
WF: Haben Sie Probleme mit der Polizei bekommen?
Wigald Boning: Die Polizei ist interessanterweise nie vorbeigekommen – obwohl es in Deutschland ja bekanntlich verboten ist, frei zu campen. Dafür hatte ich mehrfach Besuch von Betrunkenen, die mir in Gotha sogar mal direkt vor den Eingang gekotzt haben. Aber rechtliche Probleme hatte ich, ehrlich gesagt, nie. Ich habe, im Großen und Ganzen, ja auch eher legal gecampt, oder auch mal, wie im Englischen Garten, versteckt im Unterholz oder abseits der Wege übernachtet.
WF: Welches waren Ihre persönlichen Lieblings-Plätze?
Wigald Boning: Für Campingplatzfreunde ist „Fischers Fritz“ in Zürich sehr zu empfehlen – der beste Campingplatz, den ich je kennengelernt habe! Auch der Campingplatz in München Thalkirchen ist toll. Die Wohnungsnot in München ist ja bekanntlich groß. Ich habe zwei Personen kennengelernt, die dauerhaft auf dem Campingplatz Thalkirchen wohnen – was natürlich viel günstiger ist, als die billigste Mietwohnung. Auch ein wunderbarer Platz, aber sicher verboten, befindet sich unter der Krinnenspitze, im Tannheimer Tal, in 2000 Metern Höhe unterm Gipfelkreuz. Dort ist, in einer extrem schroffen Hochgebirgslandschaft, ein Plateau mit perfektem Rasen und herrlichem Blick runter aufs Nebelmeer. Der Traum eines jeden Bergzelters! Auch die schottischen Shetland Inseln, inmitten einer fantastischen Hügellandschaft mit Meerblick, sind ein toller Tipp. Außerdem darf man dort zelten, wo man will.
WF: Gab es Momente, zum Beispiel, als der Winter einkehrte, in denen Sie Ihr Projekt am liebsten abgebrochen hätten?
Wigald Boning: Nein. Es wurde irgendwann eher langweilig. In der ersten Winternacht war ich in der Nähe von Oberstaufen im Allgäu. Es hatte kräftig geschneit. Und dann lag man da in der Nacht im Zelt und meinte, es streichelt einem jemand übers Gesicht, dabei war es die Zeltplane, die unter der Last des Schnees durchhing. Gefroren habe ich eher selten. Natürlich gab es schon die eine oder andere Nacht, in der ich mich drinnen durchaus wohlgefühlt hätte. Aber weniger, weil es kalt war, sondern eher nass. Zum Beispiel in einer verregneten Sturmnacht in Hamburg, direkt an der Elbe. Ich hatte mir gedacht: „Heute probier ich es mal ohne Zelt und wickele mich in einer Plastikplane – die man sonst für Malerarbeiten verwendet – ein.“ Der Sturm wurde dann aber so stark, dass sofort, beim ersten Versuch, diese Plane zerriss. Das heißt, ich wurde klatschnass, was äußerst ungemütlich wurde. In dem Moment wollte ich mal reingehen, aber es hat sich nicht ergeben. Außerdem war ich schon auch mit Ehrgeiz dabei.
WF: Was sind Ihre Erkenntnise, die Sie aus mehr als 200 Tagen Camping gewonnen haben?
Wigald Boning: Am Ende fand ich Häuser völlig überbewertet. Ein Haus braucht man, meiner Meinung nach nicht, um zufrieden durchs Leben zu gehen. Man setzt auch mit so einer nomadischen Lebensweise seine Gesundheit nicht aufs Spiel. Vorausgesetzt, der Schlafsack ist wintertauglich. Warum es Häuser gibt, hat doch einen völlig anderen Grund – nämlich, um den ganzen Klimbim zu verstauen, den man im Leben angesammelt hat. Was im Zelt immens stört. Also, ein Großteil unserer Gesellschaft ist sicher nicht unbedingt zeltkompatibel. Dass wir viel zu viel Ballast mit uns herumtragen haben nomadische Gesellschaften, mit einer völlig anderen Kultur, schon längst erkannt.
WF: Inzwischen wohnen Sie ja wieder in festen Wänden. Wie waren die ersten Nächte, zurück auf der Matratze?
Wigald Boning: Von der ersten Nacht zu Hause hatte ich mir ganz viel versprochen, gedacht: „So, jetzt beziehst du erstmal dein Bett, und dann machst du’s dir richtig gemütlich!“ Also habe ich die Heizung aufgedreht, Duftkerzen mit Vanilleduft aufgestellt und mich in meinem frischen Schlafanzug hingelegt. Das fühlte sich auch im ersten Moment sehr gut an und duftete noch dazu so frisch gewaschen. Aber nach zehn Minuten wurde mir extrem warm. Also lag ich noch eine Weile mit zurückgeschlagener Decke da, bis es so unerträglich wurde, dass ich diesen „Versuch“ abgebrochen habe, in den Garten gegangen bin und mich wieder ins Zelt gelegt habe. Insgesamt dauerte es ungefähr einen Monat, bis ich es wieder genossen habe, drin zu schlafen.
Das Buch "Im Zelt" ist erschienen im Rowohlt Verlag (weitere Informationen)
Über den Autor*Innen
Anke Sieker
Seit ihrem Studienabschluss im Fach Kommunikationswissenschaften an der LMU München, arbeitete die Journalistin Anke Sieker im Bereich Unterhaltung für verschiedene TV-Produktionsfirmen sowie als Redakteurin bei diversen Printmedien – sowohl als Musik- und Kino-Ressortleitung als auch im Ressort Aktuelles & Society.
Mit ihren Reise-Reportagen verbindet die heutige freie Autorin eine besondere Leidenschaft, denn, um es mit den Worten des deutschen Lyrikers Christian Friedrich Hebbel auszudrücken: „Eine Reise ist ein Trunk aus der Quelle des Lebens“.