"Ristorante Groto de Corgnan" leuchtet es dem Besucher in orangefarbener Neonschrift von Wand und Dach eines Einfamilienhauses entgegen, wenn er auf der Hauptstraße des verschlafenen Ortes Sant' Ambrogio di Valpolicella nach eben selbiger Gourmet-Trattoria sucht. Es herrscht einen Augenblick Verwirrung, denn derlei Schriften deuten in der Regel auf gastronomische Einrichtungen einer viel kleineren Kragenweite hin. Doch sobald man durch den kleinen Vorgarten zum Eingang des Lokals vorgedrungen ist, beseitigt eine dort ausgehängte Karte mit Verlockungen wie Tortelli mit Ricotta und Brennessel oder Entenbrust mit Zwiebeln, getrockneten Trauben in Reciotosauce alle Zweifel.
"Herzlich willkommen im Groto", begrüßt Chefkoch und Padrone Giorgio Soave, ein kleiner Mann Ende Fünfzig in blitzweißer Kochkluft und einem ansteckenden Lächeln, seine Gäste und schüttelt
jedem persönlich die Hand. Lauschig warm ist es im Eingangsbereich, das Kaminfeuer brennt, auf einem alten Holztisch warten ein frischer Laib Bauernbrot und eine Flasche Olio d'oliva extra vergine auf die Zubereitung, während eine Ansammlung von Grappe, Destillaten und Digestifs das Ende des Abends erahnen lässt. Im Nebenraum ist für eine größere Gesellschaft gedeckt, eine steile schmale Treppe führt zu den oberen Zimmern hinauf. Ein Paar Ski aus Zeiten, als man diese noch mit Lederriemen am Schuh befestigte, hängt dort an der Wand. "Ein Symbol", sagt Giorgio Soave und blickt ein wenig sehnsüchtig auf die Bergfotos in den oberen Räumlichkeiten. "Ich liebe die Berge, vor allem im Winter, wenn es einsam sind und niemand außer mir, sich den Weg durch die weißen Schneemassen bahnt. Wann immer ich Zeit habe, fahre ich zur Erholung zum Monte Bianco." Doch für Erholung hat Signor Soave, der in früheren Jahren sogar das Base Camp des Mount Everest erreichte und schon mehrmals Extrembergsteiger Reinhold Messner bewirtete, wenig Zeit. Zu groß ist der Andrang in- und ausländischer Gäste auf sein kleines Lokal, das kaum mehr als 30 Personen Platz bietet.
Zwei Räume für je acht bis zehn Gäste, mit schweren Teppichen ausgelegt, lassen Wohnzimmeratmosphäre aufkommen. Doch wer daraus schließt, dass der Service im Groto allzu familiär ist, der wird schnell eines Besseren belehrt. Die Tische bedeckt edles Tuch, viele dienstbare Geister in Weiß-Schwarz sind stets dann zur Stelle, wenn der Gast auch nur kurz den Blick an sie richtet. Und so werden Mäntel aufgehängt, Stühle angerückt und Aperitifflaschen gekonnt entkorkt. "Zur Einstimmung für Sie einen Soave Classico D.O.C. 2002 von Suavia", unterrichtet eine junge Dame namens Claudia, Giorgios rechte Hand, die Gäste. Ein leichtes Honigaroma entfaltet sich nebst angenehmer Säure am Gaumen. Es ist 20 Uhr, die ersten
italienischen Besucher, Stammgäste vermutlich, trudeln ein, denn sie wissen, dass in etwa 15 Minuten das köstliche Mahl beginnt. Im Groto gibt es nämlich stets ein festes Menü, nur das Fleischgericht wählt man selbst, die Karte am Eingang dient lediglich der Orientierung. "Heute servieren wir Ihnen ein Antipasto aus gereiftem Speck, Sopressata (eine Art Hausmachersalami), sauer eingelegtem Radicchio, Rucola, Ziegen-Kräuterkäse in Olivenöl, dazu am Ofen geröstetes Brot", mit diesen Worten läutet Giorgio Soave den Abend ein und freut sich sichtlich, dass den Ersten bereits das Wasser im Munde zusammenläuft.
"Weiter geht es mit hausgemachten Tortelli, gefüllt mit Kürbismousse und Honig-Senfsoße sowie Tagliatelle mit Bauernragout. Danach ein Fleischgericht Ihrer Wahl. Eine Auswahl an heimischen Käsesorten mit Chutneys und unser selbstgemachtes Schokoladen- und Sahneeis mit glacierten Maronen rundet Ihr Menü ab. Buon appetito." Diverse Damen werfen einen besorgten Blick auf ihre Taille, die Herren der Schöpfung lehnen sich indes in freudiger Erwartung zurück.
"Ich habe das Lokal vor 23 Jahren eröffnet und es ist bis heute meine große Leidenschaft. Ans Aufhören verschwende ich nicht einen Gedanken", erklärt Signor Soave, bevor er für die nächsten Stunden in seiner kleinen Küche verschwindet. Bis die ersten Köstlichkeiten aufgefahren werden, ist Zeit für die Weinauswahl. Und Zeit braucht man, denn die Weinkarte ist enorm: Viele edle Tropfen aus dem heimischen Valopolicellagebiet, etwa von den Weingütern Allegrini, Dal Forno und Trabucchi, Vieles aus dem Piemont, darunter bekannte Namen wie Aldo Conterno, Gaja, Elio Altare, sowie so manch feiner Franzose. Die Preispalette reicht von sieben bis etwa 400 €.
Doch nun zu den festeren Nahrungsmitteln: Das Antipasto, eine gelungen Mischung aus milden, würzigen und säuerlichen Aromen, ist so schmackhaft, dass die gebotene Zurückhaltung schwer fällt, die scharf-süßen Kürbistortelli zergehen auf der Zunge. Als Zwischengericht kredenzt Signor Giorgio einen Salat von der Poularde an Orangen-Zitronen-Olivenöljus. Das traurige Schicksal des Federviehs, das nicht nur seine Männlichkeit einbüßte, sondern auch noch in der Pfanne sein Schicksal besiegelte, wird ebenso mitleid- wie genussvoll kommentiert. Langsam geht der Abend dem Fleischgang entgegen. Ein Hochgenuss namens Capo San Vito 1998 D.O.C., ein Valpolicella Classico Superiore von Raimondi, sollte sein köperreicher roter Begleiter sein. "Kurz gebratenes Rinderfilet mit weißem Trüffel, Feldsalat und Karottenwürfeln für die Dame, Schmorbraten in Amarone mit Süßzwiebel und Polenta für den Herrn", kündigt Signorina Claudia die Fortsetzung des Mahls an. Erste Platzprobleme im Gürtelbereich machen sich bemerkbar. Doch wer könnte bei derart spannenden Geschmackskompositionen widerstehen? "Fantasie, Geduld und Originalität sind die wichtigsten Eigenschaften eines Kochs. Es macht mir Spaß, immer wieder neue Aromen miteinander zu komponieren", so der Chefkoch, der sich trotz seiner knapp bemessenen Zeit immer selbst auf den Weg in die Berge macht, frische Pilze und Kräuter sammelt und sich Käse und Butter aus den Almen der Umgebung besorgt. Die Frische seiner Zutaten spiegelt sich auf dem Teller wider. An den Tischen macht sich indes wohlige Sättigung breit. Doch das legendäre Soave-Dessert lässt ich keiner entgehen, es kehrt erst wieder Ruhe ein, als auch die letzte Portion im Gaumen der Gäste dahingeschmolzen ist.
24 Uhr, der Abend nähert sich dem Ende. "Perchè la buca l'è mia straca s'la sa mia da vacca", so der Kommentar eines Gastes aus dem Piemont am Nebentisch. "Mein Mund ist erst glücklich, wenn er den Geschmack der Kuh verspürt hat", übersetzt er das Sprichwort und zeigt auf den würzig duftenden Käsetisch. Sein Ausspruch findet allgemeine Zustimmung, Claudia bereitet die Käseteller vor, während Signor Soave seinen Gästen voller Zufriedenheit zuprostet. Das Festmahl im Einfamilienhaus wird allen noch lange in Erinnerung bleiben.
Sant'Ambrogio di Valpolicella
Tel: +39 045/77 313 72
Öffnungszeiten: 12:30-14:00 und ab 20:00 Sonntag und Montag Mittag geschlossen
Insgesamt ca.30 Plätze in drei Sälen sowie eine kleine Gartenterrasse.
Nichtraucherlokal
Degustationsmenü ohne Wein 50 €.
Anfahrt: Vom Ostufer des Gardasees:
Von Garda auf der SR 450 Richtung Affi, dann weiter über Sega und Domegliara nach Sant'Ambrogio di Valpolicella. Ab hier ist das Groto de Corgnan ausgeschildert.
Text und Bilder: Susanne Wess