Auf dem spektakulären und höchst abwechslungsreichen Weitwanderweg GR 132 lässt sich die kleine Kanareninsel La Gomera in gut einer Woche komplett umrunden
Ein gegrillter Wolfsbarsch mit kanarischen Schrumpelkartoffeln, dazu ein halber Liter trockener Weißwein entschädigen für die Mühen des Tages. Die 27 Kilometer und insgesamt mehr als 1.500 Höhenmeter der ersten Etappe vom Inselhauptstädtchen San Sebastian durch den einsamen, nur schwach besiedelten Nordosten des Landes bis nach Hermigua kosten Kraft. Und geben einen guten Vorgeschmack darauf, was uns in den folgenden Tagen erwartet. Auf einer Länge von rund 130 Kilometern führt uns der Weitwanderweg GR 132 entgegen des Uhrzeigersinns in stetigem Auf und Ab einmal rund um die zerklüftete Insel.
Der Weg ist nichts für Konditionsschwache. La Gomera, die zweitkleinste Insel der Kanaren, ragt zwar nur 1.500 Meter aus dem Meer, fällt aber vom welligen Hochland zur Küste hin steil ab. Und genau in diesen zerklüfteten Flanken, allesamt erkaltete Lavaströme, verläuft ein guter Teil des Weitwanderwegs. Wer die Runde in gut einer Woche schaffen will, der sollte gut trainiert sein. Zumal die Etappen gemeinhin länger sind, als man bei der Planung denkt. Selbst für „nur“ 13 Kilometer braucht man angesichts der beträchtlichen Höhenunterschiede fast einen ganzen Tag. Und wenn man meint, bis zum Etappenziel ginge es irgendwann nur noch abwärts, dann geht es nach der nächsten Wegbiegung mit einiger Sicherheit auch schon wieder nach oben. 1.000 Höhenmeter und mehr pro Etappe sind eher die Regel als die Ausnahme. Am Ende der achttägigen Tour stehen insgesamt 8.000 Aufstiegsmeter auf der Uhr. Der ein oder andere Ruhetag, etwa im Valle Gran Rey im Westen oder in Playa Santiago im Süden der Insel, ist da kein Luxus.
Einsamer Norden, ruhiger Süden
La Gomera ist eine der jüngsten Inseln des kanarischen Archipels, entstanden vor rund zehn Millionen Jahren. Die Erosion entfaltet noch heute ihre volle Kraft und gewährt an vielen Stellen Einblick in die Ursprünge der Insel. Wild übereinandergeschichtete Gesteinsformationen in Rot, Braun, Grau, Gelb und Schwarz sind ein Augenschmaus für jeden Hobbygeologen. Der Roque Blanco, ein von der Erosion zerfressener, gut 500 Meter hoher und weithin sichtbarer Felsenturm oberhalb von Vallehermoso im Norden ist das beste Beispiel.
Auf La Gomera gibt es kaum mehr als ein Dutzend Dörfer, entsprechend einsam geht es auf dem GR 132 zu. Oft begegnen wir stundenlang keiner einzigen Menschenseele. Nur rund um das Valle Gran Rey und bei Playa Santiago, den touristischen Zentren der Insel, treffen wir ab und zu auf Tageswanderer. Tourengeher so wie wir, erkennbar an den großen Rucksäcken, bleiben die große Ausnahme. Die Abgeschiedenheit ist anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, aber wer die Herausforderung und die Stille sucht, für den ist dieser Weg genau das Richtige. Dabei ist allerdings Vorsicht geboten. Die Weitwanderroute ist zwar gut ausgeschildert – dem Regionalfonds der Europäischen Union sei Dank – dennoch finden sich zwischen den Schildern oft über Kilometer hinweg kaum Markierungen. Immer wieder bleiben wir stehen und suchen mit den Augen das Gelände ab, wohin es denn nun geht. Diese kleinen Zwangspausen haben jedoch auch etwas Gutes, nicht nur des Verschnaufens wegen. Durch sie erschließt sich die karge Schönheit der Landschaft noch intensiver.
Auch beim Durchstreifen der kleinen Dörfer helfen oft nur eine gute Karte, Orientierungsvermögen, Improvisationstalent – und hin und wieder auch ein bisschen Glück. Schon beim Einstieg in San Sebastian ist Pfadfinderexpertise gefragt (kleiner Tipp: In der Hauptstraße rechts an der Kirche vorbei und dann hoch Richtung Parador, der staatlichen Luxusherberge der Insel). Eine andere Herausforderung: an mehreren Etappenzielen gibt es keine Übernachtungsmöglichkeiten. Mit Bus, Taxi oder auch per Anhalter schlagen wir uns durch bis zur nächsten Schlafstätte – und am anderen Morgen wieder zurück zum Start der nächsten Etappe.
Halbwüste mit Palmen und Honig
Und doch: die täglichen Mühen werden belohnt, die Landschaft wechselt von Stunde zu Stunde und ist oft einfach nur großartig. Einige Etappen sind halbwüstenartig und erinnern an das Atlasgebirge im nicht allzu weit entfernten Marokko. An anderen Tagen sind Palmen, Agaven, Oppuntien, Aloen und andere wasserspeichernde Sukkulenten unser ständiger Begleiter. In den zauberhaften Lorbeerwald auf dem Dach der Insel, der seine Feuchtigkeit aus den von Nordosten heranziehenden Passatwinden zieht, kommen wir nicht. Der Weg läuft um diesen Nationalpark, der allein schon eine Reise nach La Gomera wert ist, einfach herum. Einer der schönsten Abschnitte des GR 132 liegt zweifellos im Nordwesten, in der rauen Gegend um Alojera. Ungeachtet der landschaftlichen Kargheit ist der kleine, abgelegene Ort umgeben von zahllosen Palmen, aus denen der kostbare Palmhonig gewonnen wird. Von oben betrachtet wirkt Alojera wie eine Oase in einer abweisenden, grau-braunen Gebirgswüste.
Einen Tag später machen wir Station im Valle Gran Rey. Wie von einem riesigen Schwert zerteilt, zieht sich das „Tal des Großen Königs“ mit beiderseits steilen Abbrüchen majestätisch aus einer Höhe von 1.000 Metern hinab zum Meer. Heute wie vor 40 Jahren leben dort zahlreiche Auswanderer, Umsteiger, Aussteiger und klassische Hippies in allen Variationen. Meist stammen sie ursprünglich aus Deutschland. Die Spanne reicht vom niedergelassenen Arzt oder Betreiber einer Bio-Plantage über den typischen Beach Boy mit blonder Mähne und Sonnenbrille (selbst am Abend) bis zum drahthaarigen, ausgemergelt daherkommenden Zivilisationsflüchtling, der sein Leben mit einfachsten Mitteln in und vor karstigen Höhlen fristet. Und für den es offensichtlich kein Zurück mehr ins bürgerliche Leben gibt, geben soll, geben kann. Tag darauf begegnen wir auf den einsam gelegenen Höhen oberhalb des Bananenorts La Dama vor einem alten Landhaus einer Gruppe weltentrückt dahinlächelnder junger Menschen, die zu weithin wummernden Techno-Rhythmen angeblich seit zwei Tagen ununterbrochen tanzen. Allein vom Koffein des Cafe con leche, so geht uns durch den Kopf, kann dieses Durchhaltevermögen wohl kaum stammen. Eine daherkommende junge Frau in bunten Schlabberhosen bietet uns in fränkischem Dialekt einen Drink an. Wir lehnen vorsichtshalber ebenso lächelnd dankend ab und ziehen weiter.
Aussichtsloser Kampf gegen die Natur
In Höhlen und abgelegenen Häusern übernachten wir nicht, aber wir schlafen „hybrid“: in einfachen Apartamentos wie dem Casa Rural Arure im gleichnamigen, 900 Meter hoch gelegen Örtchen oberhalb des Valle Gran Rey. In höchst idyllischen Landhotels wie dem Ibo Alfaro in Hermigua. Oder feudal in der noblen Ferienanlage Jardin Tecina in Santiago, wo auch Kanzlerin Angela Merkel seit vielen Jahren regelmäßig zu urlauben pflegt. „Dort hinten hat sie gesessen“, deutet uns die Wirtin des kleinen Fischrestaurants am Hafen an. Ein einheimischer Gast hört das, grinst und fügt eine andere, eindeutige Bewegung hinzu. Sie will uns sagen, dass der Kanzlerin und ihren Begleitern der Wein offensichtlich gut geschmeckt hat und er reichlich geflossen ist. Ein Bild über der Bar zeigt die damals noch junge Kanzlerin zusammen mit ihren Gastgebern. „Senora Angela“ ist selbst im Urlaub in ihrem typischen grünen Blazer gewandet.
Von Santiago aus ist es noch eine lange 20-Kilometer-Etappe zurück zum Ausgangspunkt in San Sebastian. Auch der stille Südosten der Insel ist von zahlreichen schluchtartigen Tälern, sogenannten Barrancos, durchzogen und frisst noch einmal ordentlich Kondition. Der Weg zieht sich entlang endloser steiniger, terrassierter, von Steinmauern gesäumter und schon seit langem aufgegebener Felder, auf denen früher Getreide angebaut wurde. Generationen von Gomeros haben dort über Jahrhunderte mit größter Mühe versucht, dem Boden etwas abzuringen – letztlich erfolglos. Die Bedingungen in dieser abgelegenen, steilen Gebirgsregion waren einfach zu schwierig. So manch früherer Bauer verdient sein Geld heute lieber und leichter mit dem Vermieten von Ferienwohnungen. Statt Gerste und Weizen machen sich auf den Feldern Millionen von Wolfsmilchsgewächsen breit. Eine Handvoll zerfallener Häuser, die schon lange keinen Bewohner mehr gesehen haben, sind stumme Zeugen. Es ist ein Bild weltabgelegener Schönheit, von Menschenhand kultiviert und von der Natur zurückerobert. Ein stilles Zeugnis dafür, dass sich der Kampf gegen die Natur, aber auch gegen die Gesetze der Neuzeit am Ende nicht gewinnen lässt. Und zugleich der eindrucksvolle Abschluss einer spektakulären Weitwanderung auf einer herrlichen kleinen Insel.
Über den Autor*Innen
Klaus Pfenning
Klaus Pfenning fuhr schon mit dem Fahrrad in den Kindergarten und durchstreifte mit seinen Eltern die Berge, vorzugsweise den Odenwald und Tirol. Ein Urlaub ohne Satteltasche oder Rucksack ist für ihn bis heute nur schwer vorstellbar. Als „Very Best Ager“ paart er seine Ausflüge in die Natur mittlerweile am liebsten mit „was G’scheits auf dem Teller und im Glas“.
Als begeisterter Alpinskifahrer hat er vor einigen Jahren seine Liebe auch zum Skilanglauf entdeckt. Und dabei die Erfahrung gemacht, dass diese Form der Bewegung viel anstrengender und schweißtreibender sein kann.