200 Jahre unterm Kastanienbaum

München Biergarten Oberbayern Brotzeitbrett

Wir schreiben das Jahr 1811, der Bayerische Himmel ist weiß-blau, die Dirndl fesch, die Weißwurst frisch, die Brezn knusprig und das Bier kalt und süffig, es ist die gute alte Zeit. - Die gute alte Zeit? Nein, es herrscht Revolution, denn die Münchner Gastronomen laufen Sturm gegen die Brauereien.

Dieser Sturmlauf hat uns die wohl gemütlichste Einrichtung Bayerns beschert, die Biergärten, die Sommerresidenzen der Münchner. Doch wie kam es zu dieser urbayrischen Einrichtung und was macht die Besonderheit der Biergärten aus?

Anfang des 19. Jahrhunderts fehlten noch die Möglichkeiten elektrischer Kühlgeräte.

Erst 70 Jahre später erfand der Münchner Ingenieur Carl von Linde, übrigens im Auftrag der Brauereien, einen Kühlautomaten. In sogenannten Bierkellern wurde das Bier daher in der warmen Jahreszeit gekühlt. Dafür wurden riesige unterirdische Gewölbe geschaffen, auf der Oberfläche mit Kies bedeckt, mit Kastanien und Linden bepflanzt konnte das Bier frisch gehalten werden. An eben diesen Bierkellern wurde der Gerstensaft auch verkauft und da die Bäume nicht nur die Keller kühl hielten, sondern auch den Münchnern Schatten spendeten tranken viele das Bier direkt vor Ort. Kein Brauer, der sich nicht aufs Geldverdienen versteht und so begann man schnell auch Speisen anzubieten. Dies wiederum rief die Gastronomen auf den Plan und schon hatte König Max I. eine Revolution in seinem Reich, die es schnell niederzuschlagen galt. Wie es Bayerischen Monarchen im Blut liegt fällte er vor 200 Jahren ein salomonisches Urteil, die Biergartenverordnung vom 4. Januar 1812. Diese sagt aus, dass der Bierverkauf in den Biergärten erlaubt sei, der Verkauf von Speisen allerdings den Gasthäusern obliegt. Dafür dürfen Biergartengäste ihre Brotzeit selbst mitbringen. Die Geburtsstunde der Biergärten, so wie wir sie auch heute noch alle lieben.

Längst benötigt man die Bierkeller nicht mehr zum Kühlen des Bieres, längst werden in Biergärten auch Speisen verkauft, das Mitbringen von Speisen ist allerdings nach wie vor erlaubt und wird auch gerne genutzt. Im Biergarten trifft sich die Welt, hier sitzt der Handwerker neben dem Manager, der Amerikaner, neben dem Chinesen, der Münchner neben dem Italiener und der Schüler neben dem Rentner. Oft sieht man ungläubige Blicke von Touristen, wenn am Nebentisch der Brotzeitkorb mitgebracht wird, die Tischdecke ausgebreitet wird, der mitgebrachte Radi, die Radieserl, Wurst und Kas ausgebreitet werden und sich ein buntes Volk niederlässt um gemütlich zu essen und zu trinken, hier, wo das Bier noch in Maßen ausgeschenkt wird. Und schnell kommt man ins Gespräch und auch die Hamburger und der Berliner bekommen eine Vorstellung davon, was die sprichwörtliche Gemütlichkeit ausmacht, wenn sein neugewonnener Münchner Biergartenspezi ihm von seinem Lieblingsbiergarten vorschwärmt: „Ein Tag in meinem Biergarten, ist wie ein Tag im Paradies.“ Und da ist sie wieder die gute „alte“ Zeit, der Bayerische Himmel ist weiß-blau, die Dirndl fesch, die Weißwurst frisch, die Brezn knusprig und das Bier kalt und süffig.

Über 200 Jahre sitzt man inzwischen unterm Kastanienbaum und es spricht viel dafür, das mindestens weitere 200 Jahre dazu kommen.

Über den Autor*Innen

Jörg Bornmann

Als ich im April 2006 mit Wanderfreak an den Start ging, dachte noch keiner an Blogs. Viele schüttelten nur ungläubig den Kopf, als ich Ihnen von meinem Traum erzählte ein reines Online-Wandermagazin auf den Markt zu bringen, welches eine hohe journalistische Qualität aufweisen kann, eine Qualität, die man bisher nur im Printbereich kannte. Mir war dabei bewusst, dass ich Reisejournalisten und Spezialisten finden musste, die an meine Idee glaubten und ich fand sie.